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Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)

Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)

Titel: Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mandy Kopp
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Weise froh, wenn Heinz kam. Da wusste ich, was mich erwartete. Er war vergleichsweise nett zu mir und zärtlich, auch wenn er schon mal fester zupackte. Aber nicht grob, keines von den Arschlöchern, die einen nur erniedrigten. Es war erniedrigend genug, man musste nicht noch zusätzlich auf uns herumtrampeln, um sich größer zu fühlen. Ich kann das nicht erklären, aber bis zu einem gewissen Punkt war es mit ihm nicht so schlimm wie mit den anderen. Und trotzdem zählte ich so lange, bis er fertig war und sich zur Seite rollte.
    1 http://www.magistrix.de/lyrics/Tina%20Turner/We-Dont-Need-Another-Hero-23073.html

Fluchtversuch
Und so floh die Sprotte aus dem Haifischbecken
Das Schicksal, die Strömung, die Bahnen lenkt
Wollte raus und leben, nicht verrecken
Und dann doch wieder an einem Angelhaken hängt
    Eines Abends platzte ich ins Badezimmer, ich hatte nicht bemerkt, dass jemand drin war. Ines stand heulend vor dem Waschbecken. Sie war völlig aufgelöst und versuchte gar nicht erst, ihre Tränen vor mir zu verbergen. Ohne ein Wort zu sagen, nahm ich sie in den Arm und hielt sie fest. Ein seltener, kurzer Moment, in dem man einen anderen Menschen an sich ranließ. Weil man an eine Grenze gestoßen war, die Kontrolle verloren hatte. Nach einer Weile sagte sie, dass sie es nicht mehr aushalten würde. »Verstehst du, wir werden nie, nie, nie das Geld zusammenbekommen! Er wird uns niemals hier rauslassen. Ich pack diese Scheiße nicht mehr.« Sie zitterte am ganzen Körper. »Wenn … wenn das nicht bald aufhört, bring ich mich um. Was is ’n das für ’n Leben?«
    Ich brachte keinen Ton heraus und ließ hilflos die Arme sinken. Auch ich hatte am Wochenende erst Stress mit Kugler gehabt, war am Zahltag weit unter Soll geblieben. Woche für Woche übertrug Trixi unsere »Schulden« auf Mark und Pfennig genau in ein Kassenbuch. Der Berg wurde immer höher, außer Trixi vielleicht würde keine von uns je die geforderten dreitausend Mark zusammenkratzen können. Keine von uns würde sich freikaufen und wieder ein normales Leben führen können. Aber was war schon normal? Sich mit Freunden treffen? Mit der Familie einen gemütlichen Fernsehabend auf der Couch haben? War vorher auch schon nicht normal. Ungezwungen sein vielleicht, unbeschwert. Doch das würden wir uns mit keinem Geld der Welt zurückkaufen können. Dazu war zu viel passiert. Frei sein, ja, aber wie unfrei man in Freiheit sein kann, würden wir später jede auf ihre Weise zu spüren bekommen.
    Für den Moment zählte nur, dass Ines raus wollte. Mit Lea und mir waren wir schon zu dritt. Und ich wollte fest daran glauben, dass das Eis zwischen uns nun schmelzen würde, dass dieser Augenblick der Vertrautheit Bestand haben würde.
    Mit Lea hatte ich hin und wieder darüber gesprochen, wie es sein würde, wenn wir hier raus seien. Was war draußen inzwischen passiert? Nachts, wenn ich nicht schlafen konnte, dachte ich immer darüber nach, ob meine Mutter mich wohl vermisste. Ob sie nach mir suchte. Oder ob sie mich schon vergessen hatte. Gab ja sowieso nur Stress mit ihr in letzter Zeit, ist besser so. Ich quälte mich mit Schuldvorwürfen. Hast es dir doch selbst zuzuschreiben. Wärst du brav und lieb gewesen und immer pünktlich daheim, würden sie jetzt nach dir suchen. Aber so? Wie sollten sie wissen, dass ich in Schwierigkeiten steckte? Oft war ich über diese Gedanken so verzweifelt, dass ich kaum noch wusste, wohin mit mir. Dann wieder schob ich sie beiseite und setzte noch einen drauf. Es gibt kein Zuhause mehr, wo ich hingehöre. Ich hab jetzt ein neues Leben. Ein beschissenes zwar, aber ein Leben. Wo man mich braucht. Sonst will mich ja keiner. Sonst hätte sie mich nicht so angekeift, nachdem die Polizei weg war, sondern einfach nur in den Arm genommen! Meine Mutter hatte mir mit ihrem Verhalten doch erst die Tür gewiesen. Oder etwa nicht? Die Schläge und Demütigungen, die Kugler mir hinterher zugefügt hatte, wogen weniger schwer. Das war nicht anders zu erwarten gewesen.
    Wenn Trixi und Jasmin nicht in der Nähe waren, hatten Lea und ich kleine Zettel oder leere Zigarettenschachteln aus dem Schlafzimmerfenster auf die Straße geworfen. »Hilfe! Wir sind eingesperrt!« oder »Hilfe, wir werden hier festgehalten!« Keine Ahnung, ob sich jemals jemand danach gebückt hat oder die Schachtel nur achtlos zur Seite gekickt hat. Können die ihren Scheiß nicht in den Mülleimer werfen? Wir hörten auf damit, weil wir Angst hatten, dass Kugler

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