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Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)

Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)

Titel: Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mandy Kopp
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Arm. Ich höre, dass etwas auf den Boden neben mir fliegt, dann knallt die Tür zu, die Dunkelheit ist absolut. Es ist eiskalt, mit den Händen taste ich unsicher über den Boden. Unrat überall. Auf allen vieren rutsche ich panisch über die Fliesen, ich muss eine Ecke finden, einen Halt.
    Vorsichtig kroch ich vorwärts. Ich stand so unter Hochspannung, dass ich laut mit mir selbst redete: »Scheiße, wo ist die verdammte Hose? Sie muss hier irgendwo sein. Da ist das Feuerzeug drin.« Bitte, bitte nur ein wenig Licht.
    Mit der Hand stieß ich plötzlich gegen etwas. Ich schrie auf. Es war weich, kühl und irgendwie feucht. Wie Haut, nasse, kalte Haut. Totenhaut.
    Ich schrie und schrie und konnte überhaupt nicht mehr aufhören. Panisch rutschte ich nach hinten, bis ich an eine Wand prallte. Dort kauerte ich mich zusammen und versuchte, mich irgendwie zu beruhigen. Ich kann nicht sagen, wie lange ich dort hockte und woran ich dachte. Ich fror, und meine Hände und Füße fühlten sich an, als würden sie nicht mehr zu mir gehören. Du musst dir was anziehen. Beweg dich, vorwärts. Irgendwo ist deine Jacke. Das Ding am Boden war nichts, Müll, irgendwas, mach jetzt. In der Jacke sind deine Zigaretten. Und irgendwo da ist auch das verdammte Feuerzeug. Konzentrier dich, los, weg von der Wand. Als Erstes ertastete ich meine Jacke. Gut, die Kippen sind noch drin. Weiter, mach weiter. Da. Ein Socken. Ah, die Unterhose. Stück für Stück zog ich meine verstreute Kleidung über. Und jetzt noch das Feuerzeug, wo ist das Scheißding, ich muss eine rauchen. Damit ich runterkomme. Da war nichts vorhin, eine blöde Kröte vielleicht, nichts Schlimmes, nur eklig. Eine vergessene Schweinehälfte. Ein Kotelett. Mit Erbsen und Kartoffeln. Haha.
    Ah. Da ist es!
    Mit zitternden Fingern umfasse ich das Feuerzeug. Jetzt noch die Kippe zwischen die Lippen und dann wird es gleich besser. Ich rutsche zurück zur Wand, winkle meine Knie an und ziehe wie eine Ertrinkende an meiner Zigarette. Als würde mich der Rauch, der kurze Kick, den das hektische Saugen auslöst, wegtragen können auf einer Wolke des Vergessens.
    Das kurze Aufglimmen der Glut, ein orange-gelber Augenblick, warm und weich. Wie die Kohlestückchen in unserem Ofen, kurz bevor sie in sich zusammenfielen. Das Bild, wenn es im Ofentürchen nur noch dunkel war, der Rauch beißend nach draußen quoll, wenn man es öffnete, mochte ich noch nie. Es hatte etwas Endgültiges.
    Ich drückte die Kippe auf dem Boden aus und machte mit klammen Fingern das Feuerzeug noch einmal an. Klick. Klick. Russisch Roulette. Im Schein der Flamme sah ich, dass einige Kacheln zersprungen waren, dunkle Adern durchzogen den vergilbt-weißen Hintergrund.
    Ich nahm allen Mut zusammen, streckte den Arm aus und leuchtete meine nähere Umgebung aus. Gut. Da ist nichts, kein Grund zur Panik. Ich robbte langsam vorwärts, Stück für Stück weg von der sicheren Wand. Autsch, das Mistding. Die Flamme ging aus, der Feuerstein war knallheiß. Mein Daumen brannte, ich pustete und steckte ihn in den Mund. Mit der anderen Hand wedelte ich das Feuerzeug durch die Luft. Als ich es wieder anbrachte, ohne mir die Finger dabei zu verbrennen, sah ich eine schwarze Locke auf den Fliesen. Sie gehörte zu einem nackten Frauenkörper.
    »Christl! Christl!«
    Ich kroch zu ihr und strich ihr über den Kopf. Wie lange liegt sie schon dort? Wann haben sie sie hier reingebracht? Wieso habe ich das nicht mitbekommen? Sie atmet, Gott sei Dank, sie atmet.
    Ich beuge mich über sie, streiche ihr das Haar aus dem blutig verkrusteten Gesicht und fange an zu heulen. Ich rede beruhigend auf sie ein, ziehe meine Jacke aus und lege sie über ihren Körper, weiß gar nicht, wo ich sie zuerst bedecken soll. Sag doch was. Christl, sag doch bitte was. Sie bleibt stumm, rührt sich einfach nicht.
    Ich werde panisch, kann nicht aufhören zu heulen. Der Rest sind wieder nur Fetzen, Filmschnipsel, die ich nicht zusammenkriege.
    Als die Tür – wann auch immer – aufgeht, sehe ich Trixi in der Halle stehen. Was macht sie dort? Ist sie vorher schon da gewesen? Sie steht direkt neben den Männern und schaut mich an. Bilde ich mir das alles nur ein? Was macht sie da? Ihr Blick ist starr, ihr Gesicht verrät keine Regung. Sie scheint ganz weit weg zu sein, nimmt mich überhaupt nicht wahr.
    *
    Zwanzig Jahre später, im März 2012, stehe ich Trixi in einem Gerichtsgebäude gegenüber. Wir sind unsicher, wie wir miteinander umgehen sollen. So vieles

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