Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)
Na bitte, siehst doch ganz normal aus, jetzt noch in den Bademantel schlüpfen und dann auf dem Sofa »Wetten dass . . ?« gucken. Samstagabend in Deutschland. Was ist überhaupt für ein Tag?
Als ich aus dem Badezimmer kam, stand Jasmin im Flur. Umringt von drei Polizisten. Sie drängte sich an ihnen vorbei und fiel mir um den Hals. Wir umarmten uns, heulten und lachten, tollten wie die Kinder über das Parkett. Ob wir wirklich realisierten, dass es vorbei war? Oder ob wir einfach nur hysterisch waren, panisch, dass gleich die Tür auffliegen würde und Kugler mit seinen Schergen den anderen die Fresse polieren würde? Ich weiß es nicht mehr.
Ich weiß nur noch, dass wir irgendwann Arm in Arm auf dem Boden lagen, völlig erschöpft, und die Beamten uns aufhelfen mussten. Meine Beine waren wie Pudding, mein Gesicht brannte von der ganzen Heulerei, und ich musste mich an die Wand lehnen, damit ich nicht umfiel. Die Polizistin sagte zu ihren Kollegen, dass ich einen Arzt bräuchte, sie hätte meine Verletzungen im Bad gesehen.
Ich hörte mich aufgeregt sagen: »Nein, nein, ich brauche keinen Arzt, brauche ich nicht, alles gut.«
Ich war frei.
*
Der Funkverkehr rauschte und knackte durch den Flur. »Nein, keine weiteren Personen, keine Verletzten … nein, nur zwei junge Frauen … ja, der ist bereits festgesetzt, ist uns direkt vor der Haustür in die Arme gelaufen … Nein, müssen mehr sein, noch keine Auskunft über weitere Mädchen. Informationen folgen.«
Während einige der Beamten die Wohnung auseinandernahmen, wurden Jasmin und ich in der Küche verhört. Wo die anderen Mädchen seien? Wir erzählten, dass sie einkaufen seien, sicher bald zurückkämen. Aus dem Ofen, der nie angefeuert wurde, holten wir die Kassenbücher, die Trixi so penibel geführt hatte. In der Schrankwand waren diverse Videobänder, Fotos und »Werkzeuge« verstaut. Unter anderem ein Schlagstock, die Peitsche und ein Elektroschocker, mit dem Kugler auch mich mehrfach traktiert hatte.
Noch während sich die Beamten in der Wohnung zu schaffen machten und selbst den Kühlschrank unter die Lupe nahmen, wurden Jasmin und ich zur Polizeidienststelle gefahren. Vorher hatte mich der Leiter des Sondereinsatzkommandos noch einmal gefragt, ob ich nicht doch einen Arzt bräuchte. »Sind Sie ganz sicher? Ich sehe doch, dass Sie Schmerzen haben. Vielleicht sollten wir wirklich einen Krankenwagen …?«
Ich hatte alles, was ich brauchte.
Auf der Dienststelle sollten Jasmin und ich nacheinander vernommen werden. Während wir noch auf dem Flur warteten, ging die Tür auf und Lea kam in Begleitung eines Beamten herein. Ich sprang von meinem Stuhl auf, lief auf sie zu, und wir fielen uns in die Arme.
Irgendwann wurde ich ins Vernehmungszimmer gerufen, um meine Aussage zu machen. Ich wollte erzählen, wie ich da hineingeraten war. Wo war der Anfang? Wo die Mitte? Wo irgendein Halt?
»Also. Wir hatten Streit … nein, eigentlich wie immer. Und dann bin ich nach der Schule nicht mehr … nein, das war nicht das erste Mal. Deshalb sag ich ja, es war wie immer.« Ich musste meine Schilderung immer wieder unterbrechen. Ich heulte unkontrolliert, geriet ins Stocken, hatte Mühe, die Dinge zeitlich einzuordnen. »Und dann sind wir in diese WG gekommen, das hat er uns gesagt, Mädchen- WG hat er gesagt, weil es ja so kalt ist draußen und dass wir nicht im Freien schlafen sollten oder unter einer Brücke. Fand ich in Ordnung, echt.«
Je mehr es ins Detail ging, umso mehr Probleme hatte ich. Kugler hört jedes Wort. Das wird dir noch leidtun, wenn du ihn jetzt hinhängst. Die Sau hat dir das angetan, halt’s Maul, Kugler, stimmt doch alles. Weil du nicht aufgepasst hast, mir nicht zugehört, sie nicht befolgt hast. Regeln, Mandy, Regeln. Die gibt es im Leben, und du hast es immer noch nicht begriffen.
»Können Sie sagen, was Ihnen im Jasmin angetan wurde?«
Die Stimme des Beamten kam von ganz weit weg. Es klang wie eine Schallplatte, von 45 auf 33 runterschaltet.
Nichts? Alles! Kann ich nicht sagen. Muss ich kotzen. Weiß ich nicht. Ich hab mich eingepisst vor Angst. Hab sie hängen sehn. Plitsch, klick, plitsch, klick. Bin mit dem Kopf gegen die Schrankwand geflogen, die Bettwäsche hatte Tigermuster, ach, das dachten Sie sich? Und im Kopfteil ein Radio … Nein, Tina Turner eher, so Kuschelrock-Sachen. Was wir machen mussten? Hm. Blasen fünfzig, GV hundert, anal vierhundert, Sonderwünsche extra. Nein, nur mit Gummi. Kind, weißt du
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