Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)
Gewissen, meinte, wir sollten es doch noch einmal probieren mit dem Schritt zurück ins normale Leben. Wieder zu Hause wohnen, wieder zur Schule gehen, alles zurück auf Los. »Es gibt Leute, die euch dabei helfen können, Psychologen, Spezialisten, mit denen ihr über eure Erlebnisse sprechen könnt. Ihr seid noch so jung, ihr schafft das!«
Ich glaubte nicht daran, schaltete geistig ab, bekam kaum noch mit, was er uns alles erzählte.
Mitten in seinem Redeschwall hörten wir plötzlich, dass sich jemand an der Tür zu schaffen machte.
»Wer außer euch hat noch einen Schlüssel?« Der Polizist blickte hektisch von einer zur anderen.
Jasmin meinte, dass nur Kugler einen habe.
Der Beamte sprang vom Sofa auf und postierte sich hinter der Tür.
Es war Kuglers Ehefrau, die offenbar nicht damit gerechnet hatte, jemanden in der Wohnung anzutreffen. Aber sie fing sich schnell und keifte sofort los. Jasmin sei an allem schuld, sie sei eine Schlampe, eine Hure, die ihren Mann vom rechten Weg abgebracht habe. Und nun sei sie auch noch schwanger, das würde ja schon alles sagen. Der Polizist unterbrach sie. Wollte wissen, wo sie den Schlüssel herhabe, warum sie überhaupt von der Wohnung wisse und ob sie mit ihrem Mann unter einer Decke stecke. Das sei Beihilfe zur Prostitution. Er nahm ihre Personalien auf, ließ sich den Schlüssel geben und warf sie hinaus.
Es war irgendwie eine absurde Situation.
Als er gegangen war, sprachen wir über das, was er uns mit auf den Weg gegeben hatte. Die eindringliche Bitte, zurück ins Leben zu gehen, weg aus dem Jasmin. Keine von uns konnte sich das vorstellen, ja, wir machten uns sogar darüber lustig.
Die Nacht verbrachten wir gemeinsam in der Wohnung in der Merseburger Straße. Wie früher. Zu dritt im Bett im Schlafzimmer, zwei von uns auf der Couch.
Ich lag lange wach. Wie würde meine Mutter reagieren, wenn ich vor der Tür stand? Was wusste sie von dem, was mir passiert war? Hatte sie mich überhaupt vermisst? Die Zweifel waren sofort wieder da. Die innere Zerrissenheit. Du gehörst nicht mehr dazu, es gibt kein Zurück. Wie eine Glasscheibe stand die Zeit im Jasmin zwischen mir und meinem alten Leben. Ich würde machen können, was ich wollte, wie ein Vogel würde ich dagegen fliegen, immer wieder, hilflos, ohnmächtig.
Bis zum Morgen wälzte ich mich unruhig hin und her. Wenn du es nicht versuchst, hast du schon verloren. Vielleicht geht es ja gut, vielleicht wird ja alles wieder gut.
Gegen Mittag traf ich eine Entscheidung. Ich verabschiedete mich von den anderen, zog die Tür hinter mir zu und ging durch das Treppenhaus hinunter. Vor der Haustür warteten Dutzende Journalisten, die sich wie die Geier auf mich stürzten.
»Mandy, was machst du jetzt?«
»Wie geht es dir?«
»Wo gehst du hin? Sag doch was!«
Ich wusste nicht, wie ich mit diesem Ansturm umgehen sollte, war hin- und hergerissen zwischen dem Gefühl, mich schützen, mein Gesicht verbergen zu wollen, und dem Impuls, alles herausschreien zu wollen. Niemand hatte uns darauf vorbereitet. Ich weiß nicht mehr, was ich genau sagte, außer, dass ich am Montag wieder zur Schule gehen wollte.
An den Weg nach Hause habe ich kaum Erinnerungen. Meine Mutter öffnete die Tür, fiel mir um den Hals. Wir fingen beide an zu heulen. Sie wirkte glücklich, gleichzeitig hilflos und völlig mit der Situation überfordert. Wir gingen ins Wohnzimmer und setzten uns. Keiner brachte einen Ton heraus. Es war qualvoll. Sie traute sich nicht, irgendetwas zu fragen, ich hatte nicht den Mut, etwas zu erzählen. Wo hätte ich anfangen sollen, wo aufhören? Ich wollte sie nicht belasten, wollte stark sein. Einer der wenigen Sätze, die ich an jenem Tag zu ihr sagte, war: »Ich schäme mich dafür, dass ich meinen Körper an Männer verkauft habe.«
Was für eine schiefe Wahrnehmung. Als hätte ich das freiwillig getan. Als hätte ich mich ganz bewusst dafür entschieden. Aber dieser Satz drückte letztlich aus, was ich empfand. Schuld.
Es dauerte nicht lange, bis die Journalisten auch bei meinen Eltern auftauchten. Am Anfang wies Jakob sie noch ab, dann gaben sie doch die ersten Interviews.
»Am Montag geht Mandy wieder in die Schule. Es wird nicht leicht, doch ich sagte ihr, dass es immer einen neuen Anfang gibt.« So meine Mutter. Und Jakob: »Wir sind froh, dass sie wieder zu Hause ist. Wir geben Mandy nicht auf.«
Und ich? Ich dachte tatsächlich, ich könnte einfach die Schule zu Ende machen, alles vergessen und hinter
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