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Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)

Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)

Titel: Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mandy Kopp
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eigentlich, wie du dich anhörst? Du siehst aus wie eine Hure! Wie eine Hure.
    »Erzählen Sie doch mal. Erzählen Sie doch mal. Und wann war das? Und wer hat Ihnen das angetan?«
    Ich … also, das geht so. Nein, weg, da ist man weg, richtig weg, ich weiß auch nicht. Der Suizidversuch? Ja, das war am Anfang. Eine Bleibe, ein Dach über dem Kopf, mehr nicht.
    Es war qualvoll.
    Zum Schluss wurde ich von dem vernehmenden Beamten gefragt, ob ich gegen Kugler Strafantrag wegen Vergewaltigung und Körperverletzung stellen möchte. Ich bejahte und fragte anschließend noch nach den Männern, die im Jasmin verkehrten. Würde man die auch zur Verantwortung ziehen?
    Ich bekam darauf keine wirkliche Antwort. Der Beamte meinte, jetzt ginge es vorrangig um »den Zuhälter«, alles Weitere würde man sehen.
    Das Protokoll mit meiner Unterschrift trägt das Datum vom 28. Januar 1993.
    Nach der Unterzeichnung sollte ich draußen auf dem Flur warten. Nach einer Weile sah ich Ines und Trixi auf mich zukommen. Wir stürzten aufeinander zu, fielen uns in die Arme und weinten. Danach sank ich völlig erschöpft zu Boden. Ich konnte nicht mehr, mein Körper resignierte. Zwei Polizeibeamte brachten mich in einen Sanitätsraum, wo ich mich auf eine Liege legen konnte, dann riefen sie den Notarzt. Während der ganzen Zeit weinte ich leise vor mich hin.
    Der Rettungswagen kam, zwei Sanitäter und ein Arzt, der mich gleich untersuchen wollte. Ich wehrte mich, wollte nicht, dass mir irgendjemand zu nahe kam, noch nicht einmal ein Arzt. Er sprach beruhigend auf mich ein, hielt meine Hand und tröstete mich. Als er die Verletzungen an meinem Oberkörper sah, stiegen ihm die Tränen in die Augen. Er meinte, dass ich mit ins Krankenhaus fahren müsse, damit man mich dort genauer untersuchen könne.
    Im Krankenhaus angekommen, musste ich warten. Ich lag in einem Klinikbett auf dem Flur, die Hektik um mich herum, die Neonröhren über mir, machten mir Angst. Ich fürchtete mich vor der Untersuchung, vor allem vor der gynäkologischen. Ich schämte mich. Da waren auch Wunden. Wunden, von denen ich selbst hier in diesem Buch nicht schreiben kann, weil ich mich nicht daran erinnern will. Schnitte, Stiche. Verbrennungen. Ich wollte einfach nur noch weg.
    Keiner nahm Notiz davon, dass ich plötzlich aufstand und aus der Klinik lief.
    Als ich auf der Straße stand, wusste ich nicht, wohin.
    Im Morgengrauen schellte ich an der Wohnungstür, Jasmin öffnete. Auch Trixi und Ines waren wieder da. Wir räumten auf und freuten uns über unsere neugewonnene Freiheit. Wir wollten zusammenbleiben, uns nie wieder trennen. Gemeinsam in der Wohnung leben. Wir dachten nicht darüber nach, ob das funktionieren könnte und wie das überhaupt funktionieren sollte.
    Hauptsache, wir waren zusammen und füreinander da. Nach Hause? Das konnte sich keine von uns vorstellen.

Spießrutenlaufen
Vermeintlich frei steh ich nun in der Tür zum Leben
Den Schmerz, die Angst noch in der Brust ganz tief
Wissend, das Leben wie zuvor wird’s nie wieder geben
Nichts läuft jetzt mehr, so wie es vor langem mal lief
    Jasmin erzählte uns, dass die Polizei sie während ihrer Vernehmung unter Druck gesetzt habe. Sie war die Einzige von uns, die bereits volljährig war. Außerdem war sie schwanger. Von ihm. Die Beamten hätten zu ihr gesagt, sie solle auspacken. Andernfalls würde sie das Kind im Knast zur Welt bringen.
    Irgendwann am Nachmittag klingelte es an der Haustür. Keine rührte sich, Kuglers Arm reichte weit. Es schellte erneut, laut und durchdringend. Jasmin öffnete vorsichtig die Tür. Einer der Polizisten, die uns befreit hatten, stand im Treppenhaus.
    »Kann ich reinkommen?«
    Er musste mitbekommen haben, dass wir nach unserer Vernehmung die Merseburger als Treffpunkt vereinbart hatten. Im Nachhinein muss man sich fragen, warum Polizei und Behörden das überhaupt zugelassen haben, zumal, was uns Minderjährige anging. Eine der vielen Ungereimtheiten, die weitere nach sich ziehen sollte. So war in der Leipziger Morgenpost am 12. Februar 1993 zu lesen: Eine Sprecherin des Leipziger Jugendamtes: »Wir können die Kinder nicht aus dem Bordell nehmen, weil die Eltern einverstanden sind.« Mandys Vater J. dazu: »Eine Unverschämtheit. Wir wollten unseren Kindern helfen, doch das Jugendamt hat uns nie unterstützt.« Meine Eltern erfuhren übrigens aus der Zeitung von unserer Befreiung.
    Jasmin bat den Polizisten ins Wohnzimmer, wir anderen kamen dazu. Er redete uns ins

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