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Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)

Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)

Titel: Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mandy Kopp
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auf dem Sofa und sagten in die Kamera, dass Kugler kein schlechter Mensch sei und wir freiwillig im Jasmin geblieben waren.
    Kurz darauf erlitt ich einen Nervenzusammenbruch.
    Meine Eltern hatten sich inzwischen entschieden, um Hilfe zu ersuchen. Sie sprachen beim Jugendamt vor, der Sachbearbeiter schloss sich mit der Polizei kurz, man suchte gemeinsam nach einer Lösung. Eines war so sicher wie das Amen in der Kirche: Ich musste Leipzig so schnell wie möglich verlassen. Nicht nur wegen der Schießerei, sondern auch, weil inzwischen aktenkundig war, dass einige der anderen Mädchen aus Angst bereits Teile ihrer Aussagen zurückgezogen hatten. Auch bei der Polizei war man sich mittlerweile im Klaren darüber, dass das nicht freiwillig, sondern auf massiven Druck hin geschehen war. Und dass man die »Mädchen vom Jasmin« zum Schweigen bringen wollte, und zwar mit allen Mitteln.
    Auch der Weiße Ring bot meinen Eltern Hilfe an. Es gebe die Möglichkeit, mich anonym in einem SOS -Kinderdorf in der Nähe von München unterzubringen. Am Ende entschied man sich, die Hilfe eines Vereins anzunehmen, der aufgrund der Fernsehberichte Kontakt zum Jugendamt aufgenommen hatte.
    Mein Leben sollte wieder einmal eine abrupte Kehrtwende nehmen.

Flucht aus Leipzig
Mein Körper ist frei, aber meine Seele
Weint und schreit
Umhüllt von widerlichen Gedanken
Eingeflochten in tausend Erinnerungen
Die immer und immer wieder schmerzen
    In Begleitung der beiden Journalisten von der Morgenpost fuhr ich zurück nach Hause. Ich heulte den ganzen Weg über, konnte mich auch in der Wohnung kaum beruhigen. Jakob sagte mir, dass ich wegmüsste, raus aus Leipzig, irgendwo ein neues Leben anfangen. Dass ich uns alle in Gefahr bringe, wenn ich bliebe. Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Aber hatte ich eine andere Wahl?
    In einer Nacht-und-Nebel-Aktion brachten meine Eltern mich ein paar Tage später aus Leipzig fort. Mein einziges Gepäck war ein Rucksack, in den ich ein paar Klamotten, ein Schulheft mit meinen Gedichten, das Bild meines Vaters und ein paar Kassetten gestopft hatte.
    Hunderte Kilometer von zu Hause entfernt, hielten wir mitten in der Pampa auf einem Parkplatz. Das war der vereinbarte Treffpunkt.
    Draußen war es dunkel und eiskalt. Jakob trat von einem Fuß auf den anderen, durch die Scheibe konnte ich sehen, dass sich die weißen Wölkchen seines Atems kaum auflösten. Ich hockte im Wagen und fühlte mich schrecklich. Wo würde ich hinkommen? Ich hatte Angst vor fremden Menschen, einer neuen Umgebung. Davor, alles zurückzulassen, was mir einst wichtig gewesen war und inzwischen doch nur noch fremd. Und das, was ich so gerne zurückgelassen hätte, hatte ich sowieso mit im Gepäck. In meinem Rucksack im Kopf, im Bauch. Wohin damit? Den konnte ich nicht einfach am Parkplatz liegenlassen, ihn nicht aus dem Fenster werfen, husch und weg. Dass ich ihn mein Leben lang auf dem Rücken tragen würde, das habe ich damals aber nicht begriffen.
    Ich musste an die Diskussionen der vergangenen Tage denken. Der Weiße Ring, das SOS -Kinderdorf. Vielleicht ein Ticket zum Mond. Genau so kam es mir vor. Unbekannte Welten, so oder so. Vielleicht wäre der Mond gar nicht so schlecht gewesen?
    Ein Auto rollte auf den Parkplatz und hielt vor unserem Dacia an. Meine Mutter stieg aus. »Bleib bitte sitzen, wir regeln das.«
    Da standen wir mit dem alten Dacia von meinem Stiefvater.
    Ich sah einen Mann und eine Frau aussteigen, sie gingen auf meine Eltern zu, stoppten, man unterhielt sich kurz, Jakob deutete mit dem Kopf nach hinten. Da sitzt er, unser kleiner Problemfall.
    Gemeinsam kamen sie zu mir ans Auto. Jakob öffnete die Tür. »Kannst jetzt rauskommen, Mandy.«
    Die beiden lächelten und stellten sich vor.
    »Hallo, Mandy, ich bin Horst«, sagte er und gab mir die Hand. »Und das ist Karin, meine Frau.«
    »Hallo«, stammelte ich und blickte auf den Boden. Das tue ich immer, wenn ich mich unsicher oder unwohl fühle.
    Viel Zeit für eine Annäherung gab es nicht.
    Meine Mutter nahm mich in den Arm und hielt mich fest, während Jakob meinen Rucksack aus dem Auto holte. »Guck dir mal ein paar Tage an, ob es dir dort gefällt.« Sie kämpfte mit den Tränen. Ihr Satz ließ auf die Möglichkeit hoffen, dass ich zurückkönnte, wenn ich mich dort in meinem neuen Zuhause nicht wohl fühlen würde. Ich klammerte mich an ihn, packte ihn ganz oben hinein in meinen Rucksack. Die Tatsache, dass es kein Zurück geben würde, schob ich weit

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