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Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)

Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition)

Titel: Die Zeit des Schweigens ist vorbei (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mandy Kopp
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Kontrollwahn, ob auch alle Fenster zu waren, wenn wir aus dem Haus gingen. Meine Panik, wenn ein Auto langsam unsere Straße herunterrollte. Reine Paranoia? Der Krake hielt auch meine Familie fest im Griff, egal, ob ich das wollte oder nicht. Alles, was irgendwie ungewöhnlich war, versetzte uns in Aufregung. Raphael akzeptierte das alles, ohne die Gründe dafür zu kennen. Er akzeptierte mein Schweigen.
    In den Tagen nach dem eigenartigen Telefonat gelang es mir nicht, mich durch Arbeit abzulenken. Hatte ich, hatten wir »Mädchen vom Jasmin« eine Verantwortung, die über unser eigenes Leben hinausging? Es gab so viele ungeklärte Fragen. Und für die wenigen Antworten, die wir nach unserer Befreiung hätten geben können, hatte sich nie jemand interessiert. Warum sollte sich das nun geändert haben, nach den vielen Jahren? Wollten sie nur herausfinden, was wir wussten, um uns bei Bedarf mundtot zu machen? Nein. Das musste eine Falle sein. Und wenn nicht? Wie viele Mädchen verschwanden eigentlich in Deutschland oder Tschechien, um am Ende auf dem Strich zu landen? Wie viele Jasmins gab es in diesem Land, wie viele Papas und verdienstvolle Herren der Gesellschaft vergnügten sich mit Minderjährigen und kamen straffrei davon, weil sich niemand dafür interessierte?
    Je länger ich darüber nachdachte, umso stärker belastete mich mein Schweigen. Es hatte mir nichts genützt, die Dämonen waren geblieben, den anderen Mädchen nicht, niemandem. Nur denen, die damals die Strippen gezogen haben. Einmal Opfer, immer Opfer.
    Als das Päckchen von Ginzel kam, traute ich mich kaum, es zu öffnen. Wie eine Briefbombe, die hochgehen würde, sobald ich das Paketband aufschneiden würde. Ich ließ es liegen, stundenlang. Ich hatte Angst vor der Angst, Angst vor meiner Vergangenheit, die mein Leben verschlingen würde wie ein gefräßiges Tier. Und ich verachtete mich dafür. Was war das für ein Kerker, in dem ich hier hockte? Einer, in den du freiwillig gegangen bist. Nein! Ich konnte doch nicht wissen … Die Mauer war nicht so hoch, als dass du nicht hättest darüber hinwegklettern können. Eine Sklavin bist du, eine Sklavin bleibst du.
    Dabei war nichts anderes drin als ein alter Artikel über Gewalt an einer Schule in Sachsen-Anhalt, ein Hörfunkfeature über einen Mordfall im selben Bundesland und ein Film über Angehörige getöteter Bundeswehrsoldaten – Arbeitsproben, die mir zeigen sollten, wie die beiden an ein Thema herangingen.
    Ich riss den weißen Umschlag auf. Den ganzen Abend über war ich nicht ansprechbar, für niemanden. Ich hockte auf dem Sofa und las, dann sah ich mir den Filmbericht an.
    Am nächsten Morgen hatte ich eine Entscheidung getroffen.
    Ich sagte Wolfgang, dass ich mich auf ein Treffen mit den beiden Journalisten einlassen wolle. Dass ich das Gefühl habe, damit etwas gutmachen zu können. Ich wollte mich nicht länger verstecken, weil ich ahnte, dass mich mein Schweigen innerlich mehr zerriss als eine Konfrontation. Wenn ich das überlebte, hätte ich zumindest meine eigene Angst besiegt. Wenn nicht, hätte das Leben sich einfach ein weiteres Mal gegen mich entschieden.
    Ich wollte raus aus diesem Kerker, wollte endlich Namen zu Gesichtern zuordnen, die mich seit Jahren im Traum verfolgten. Ich wollte mich nicht länger verstecken, nicht länger in Angst und Ungewissheit leben, sondern Antworten auf all die Fragen haben, die für andere längst verjährt sein mochten. Ich wollte wissen, warum die anderen Mädchen ihre Aussagen zurückgezogen hatten und mein Anwalt nach der Vernehmung im Jahr 2000 keine Akteneinsicht bekommen hatte. Mit anderen Worten: Ich wollte mein Leben zurück.
    Wolfgang war dagegen: »Der Schritt nach draußen ist falsch! Denk an das Risiko, denk an die Kinder.«
    Ich dachte jede Sekunde an die Kinder.
    Noch am gleichen Abend sprach ich mit meinem Sohn. Es war ein Moment, den ich lange gescheut hatte. Am Ende fiel es mir leichter, als ich gedacht hatte. Ich erzählte ihm von meinen Eltern und davon, dass mich der Tod meines Vaters völlig aus der Bahn geworfen hatte. Dass es verschiedene Arten der Trauer gebe und wie wichtig es sei, darüber zu reden. Dass meine Mutter und wir zwei verbliebenen Schwestern keine Worte gefunden hatten und weggelaufen waren. Jede auf ihre Weise. Dass ich mich zu Hause nicht mehr wohl gefühlt und mir ein neues Zuhause gesucht hätte. Raphael lag in seinem Bett und sah mich mit großen Augen an. So ernst und aufmerksam, dass ich mit den

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