Die Zeit, die Zeit (German Edition)
stiller Sommerabend. Das Ehepaar Hadlauber saß in der Hollywoodschaukel und sprach mit halblauter Stimme. Über ihnen, im Licht einer Lampe im Stil einer Miniatur-Gaslaterne, tanzten die Nachtinsekten. Weit weg bellte ein Hund.
Im Garten der Dreiundvierzig brannten die bunten Glühbirnen über dem Biertisch. Das Paar und Kurt saßen dort und redeten. Als Peter die Gartentür öffnete, verstummten sie und sahen zu ihm herüber. Kurt sagte etwas zu den beiden, stand auf und kam zu ihm.
»Wie geht’s?«
»Glatter Bruch. Vier bis sechs Wochen Gips. Keine Operation.«
Kurt nickte fachmännisch. »Konventionell.« Er sah Taler an, als warte er auf den Grund seines Besuchs.
»Hinten, beim Zaun, habe ich meine Tasche liegenlassen. Ist es okay, wenn ich sie hole?«
Kurt begleitete ihn. Kletterte sogar für ihn über den Zaun, um die Tasche zu holen. Als er sie Taler gegeben hatte, entstand eine Pause.
»Die Knarre?«, fragte Kurt schließlich.
Taler nickte. Kurt ging ins Haus und kam kurz darauf mit der Armeepistole zurück. Er gab sie ihm mit den Worten: »Ich hoffe, du findest ihn nie.«
Er hätte gerne Lauras Kalender gerettet. Als er an diesem Vormittag vom Krankenhaus nach Hause gekommen war, hatte er als Erstes den Deckel des Müllcontainers angehoben. Aber die Abfuhr war schon da gewesen.
Laura hatte also die Herrenbesuche der Nachbarin mitbekommen, so laut war es in der Wohnung unter ihr zugegangen. Beim ersten Mal, dem mit dem Fragezeichen, war sie sich nicht sicher gewesen. Aber beim letzten Mal mit dem Feuerwerk dafür sehr.
Es war Zeit, Abbitte zu leisten. Er saß in Lauras Atelier und starrte auf die tränenverschwommenen Illustrationen, die sie für so gelungen gehalten hatte, dass sie einen Platz an der Wand bekamen: ein Feuersalamander in seinen vier Entwicklungsphasen, ein Querschnitt durch das menschliche Ohr und einen Hopfen mit weiblichen und männlichen Blüten.
Verzeih, verzeih, verzeih!, wiederholte er wie ein Mantra. Verzeih, verzeih, verzeih, bis ihm das Wort nachlief wie ein Lied, das ihm nicht mehr aus dem Kopf ging.
Es lief weiter, während er sich auszog – einhändig, eine Clownnummer ohne Gelächter und Applaus –, und es folgte ihm in den Schlaf. Verzeih, verzeih, verzeih.
»Wenn es die Zeit nicht gäbe«, sagte Peter Taler, »dann würde alles auf einmal passieren.«
Sie waren im Vermessungszimmer, dessen Wände jetzt mit Plänen tapeziert war. An der einen Wand die von damals, an der anderen die von heute und an der dritten die, auf denen sie Buch führten über das, was bereits angepasst war, und das, was noch bevorstand. Noch immer der weitaus größte Teil.
»Die Zeit hat die Funktion der Trennung, verstehst du? Sie trennt uns von unseren Vorfahren und Nachfahren, sie trennt uns von uns als Kindern, als Heranwachsenden, als Erwachsenen, als Greisen, als Verstorbenen. Sie dient der Ordnung. Sie schenkt uns das Vorher, das Jetzt und das Nachher. Wenn es die Zeit nicht gäbe, dann wäre alles auf einem Haufen.«
Knupp hatte nachsichtig zugehört, wie bei etwas, das er bis zum Überdruss kannte. »Es ist nicht die Zeit. Es ist die Veränderung. Sie ist es, die alles trennt, die Ordnung schafft und uns Vorher, Jetzt und Nachher schenkt. Stichwort James Lee Buttonpond.«
Peter Taler zuckte mit den Schultern. Er hatte, seit sich sein Verdacht gegen den Mopedfahrer in Luft aufgelöst hatte, den Fokus verloren. Was den Mörder von Laura betraf, tappte er im Dunkeln. Und an Knupps großem Zeitexperiment beteiligte er sich halbherzig und aus einer Mischung aus Langeweile und Loyalität. Die Planung und Vorbereitung, also die Arbeiten, bei denen er auf seine rechte Hand angewiesen war, waren zwar abgeschlossen, aber es war jetzt Ende Juli und der größte Teil der praktischen Umsetzung lag noch vor ihnen. Geld war kaum mehr vorhanden, das meiste der zwölftausendeinhundert, die er in den Abschiedsbrief an Knupp gesteckt hatte, war für Teilzahlungen an die Gärtnerei draufgegangen. Neue Geldquellen waren nicht in Sicht. Dass er selbst mit anpackte, lag bei seinem kaputten Arm nicht drin.
Sie kämpften auf verlorenem Posten. Aber Knupp wollte es nicht wahrhaben. Und Taler fehlte die Motivation, etwas dagegen zu unternehmen.
Doch das sollte sich ändern – noch am selben Abend.
Taler hatte – wie fast immer – bei Knupp zu Abend gegessen und kam erst nach Einbruch der Dunkelheit zurück in seine Wohnung.
Seit er sie so überstürzt von ihrer beider Persönlichstem befreit
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