Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall
kleine Scharte ungefähr in der Mitte der Klinge aufweist.«
Der Weg in die Stadt verlief ruhig. Nach Pias Beschreibung der Mordwaffe und des potenziellen Täters war ich unsicher, ob ich mich nicht mit der These eines mordenden Priesters in etwas verrannte. Ein säbelschwingender Priester, dem Nikola vertraut hatte. Das passte nicht zusammen. Obwohl er in dieser Nacht dort war, hieß es noch lange nicht, dass er auch der Täter war. So wie in meinem Fall. Aber er war mein einziger Anhaltspunkt. Ich musste etwas in die Hand bekommen, das mich entlasten würde. Und zwar die Mordwaffe.
Yasmina deutete mein Schweigen, dass die Sache heikel für mich stand und dass sie mir besser nicht mit dem Vorschlag in die Quere kommen sollte, erst den Zylinder und dann den Mörder zu suchen.
Ich durfte bei dem Gedanken, in achtundvierzig Stunden dem Untersuchungsrichter vorgeführt zu werden, nicht in Panik verfallen, was mir nicht sonderlich leicht fiel. Ein ums andere Mal hörte ich, wie die Gefängnistür hinter mir ins Schloss fiel und ich mit zerschlagenem Gesicht auf die Pritsche fallen würde, in der sicheren Erwartung, dass dieser Albtraum bis zu meinem letzten Atemzug andauerte.
»Woran denken Sie gerade?«, fragte sie mich.
»An die Hölle.«
»Wie sieht sie Ihrer Vorstellung nach aus?«
»Zwei auf drei Meter groß, grau, vergittert, die Toilette aus Stahlblech, in der der Kantinenfraß klebt, ein schmales Bett, in dem niemand anderes mehr schlafen wird als mein welkender Körper in chlorgebleichter, stinkender Wäsche. Mein Blick klebt leer an der Decke, wo kein Traum mehr stattfinden wird, ohne jeden Funken Hoffnung, jemals das Meer noch einmal riechen, sehen, spüren und hören zu können. Das ist der Tod. Nein, das ist schlimmer, als tot zu sein. Das ist lebenslange Folter. Ich glaube nicht, dass ich das ertragen könnte.«
»Wie wollen Sie dem entkommen?«
»Es gibt Möglichkeiten. Einige. Nicht angenehm, aber wirksam.«
»Glauben Sie an Gott?«
»Was hat denn der mit meiner Hölle zu tun?«
»Er kann Ihnen vergeben.«
»Wie bitte? Was denn vergeben?!«
Sie schwieg, denn sie wusste, dass sie zu weit gegangen war.
»Hören Sie, Gnädigste, zum allerletzten Mal: Ich habe Nikola nicht getötet! Er war ein guter Freund und ein guter Mensch. Solche Exemplare sind selten, und man schlachtet sie nicht einfach so ab. Am wenigsten ich. Haben Sie das endlich verstanden?!«
Sie erwiderte nichts, und ich nahm es als Einverständnis. Dennoch, der Gedanke stieg in mir hoch, dass ich in ihren Augen als Mörder dastand. »Wie kommen Sie eigentlich auf Gott und Vergebung?«, fragte ich.
»Er ist der Einzige, der die Macht besitzt, uns unsere Sünden zu vergeben. Wir sind sein Werkzeug, und wir sind in seiner
Hand. Doch dazu müssen wir glauben, an ihn und seine Botschaft. Gott ist gnädig mit jedem seiner Kinder.«
»Ich bin mein eigener Herr, und ich gehe meinen eigenen Weg. Dazu brauche ich niemand anderen. Und schon gar nicht Ihren Gott.«
»Sie glauben nicht, und deshalb sind Sie verloren. Doch unser Herr ist geduldig, so wie in dem Gleichnis vom verlorenen Sohn.«
»Das reicht! Ich will nichts mehr davon hören. So weit kommt’s noch, dass ich mich von Ihnen missionieren lasse.«
»Die Wege des Herrn sind …«
»Schnauze!«
Wir fuhren in die Räume der Denkmalpflege, wo ich nachts zuvor eingestiegen war. Ich wollte mir den »Tatort« noch einmal bei Tageslicht anschauen, in der Hoffnung, einen Hinweis darauf zu finden, was diesen verdammten Zylinder so wichtig machte, um dafür zu töten.
Die Entscheidung lag ganz auf der Linie Yasminas, die sich durch die neue Reihenfolge meiner Ermittlungen bestätigt fühlte.
Als einziges erhellendes Ergebnis dieses Vorhabens trat lediglich die leere Wasserflasche zutage, der, wie Heinlein sagte, der Schraubverschluss abhanden gekommen war und den ich dummerweise für den Deckel der Taschenlampe gehalten hatte.
Erst als ein Mitarbeiter der Denkmalpflege seinen Schlüsselbund scheppernd auf die Tischplatte warf, dämmerte es mir. Der Schlüssel. Wo hatte Nikola den Schlüssel her, der mir das ganze Vorhaben als Kinderspiel erscheinen ließ? Ich fragte nach dem Direktor, der über Anzahl und Verteilung der Schlüssel seines Hauses informiert sein musste. Der Denkmalpfleger schickte mich zu den Ausgrabungsarbeiten am Kiliansplatz.
Das Gelände sah ähnlich zerstört aus, wie es nach dem Bombenangriff der Engländer im Jahr 1945 in der ganzen Stadt ausgesehen haben
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