Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall
eine Antwort abzuwarten. Wieder kam sie nach. »Aber der Zylinder«, sagte sie, »er ist wichtiger, als…«
Wieder hielt ich. »Nichts ist wichtiger, als herauszufinden, wer Pater Nikola getötet hat. Verstehen Sie? Nichts. Ich bin der einzige Verdächtige im Fadenkreuz meiner Kollegen, und ich habe keine Lust, den Rest meines Lebens hinter Gittern zu verbringen.«
»Sie vergessen Einbruch und schweren Diebstahl. Das kann Sie auch einige Jahre kosten.«
»Wollen Sie mich erpressen?«
»Nein. Ich konzentriere mich auf unseren Auftrag.«
»Ihren Auftrag. Meiner ist, einen Mörder zu finden. Habe ich den Mörder, habe ich den Zylinder. So einfach ist das.«
»Oder umgekehrt.«
»Unsinn! Los, kommen Sie endlich!«
Sie schwieg und folgte mir ins Institut für Rechtsmedizin. Leitende Obduzentin war Dr. Pia Rosenthal an den Instrumenten, zweiter Obduzent Karl Aumüller am Mikrophon des Diktiergerätes und, wie immer, an der Säge, mit dem obligatorischen Zahnstocher im Mundwinkel, Ernst, der Assistent.
Wir betraten unangemeldet den Raum im Untergeschoss, ohne jedes natürliche Licht. Vor uns der entkleidete Körper Nikolas auf dem kalten Stahltisch, nebendran in einer Schale auf einem Rollwagen sein Kopf.
Die Obduktion hatte bereits begonnen. Pia untersuchte den Körper nach Totenflecken, und Karl wiederholte die Ergebnisse ins Aufnahmegerät. Heinlein hatte seine gewohnte Stellung mit gebeugtem Haupt hinter dem Schreibtisch eingenommen, während vor ihm Ernst ungeduldig auf seinen Einsatz mit der Säge wartete.
»Morgen, Herrschaften.«
Heinlein schreckte hoch. »Du hast hier nichts verloren. Und in Begleitung gleich zweimal nicht.« Er drängte uns zur Tür zurück.
»Jetzt spiel dich nicht so auf«, entgegnete ich ihm.
»Du weißt ganz genau, dass ich mir nicht den geringsten Fehler erlauben kann. Wenn Oberhammer auftaucht, bin ich geliefert. Er wartet doch nur drauf.«
»Komm, Schorsch, lass gut sein«, kam mir Karl zu Hilfe.
»Wenn dein Chef auftaucht, nehme ich das auf meine Kappe.«
»Wenn du dich da mal nicht übernimmst«, fauchte Pia ihn an. Ihre Augen ruhten jedoch auf Yasmina.
»Was hört man denn für Sachen von dir? Kündigst einfach deinen Job, ohne uns vorher um Erlaubnis zu fragen«, sagte Karl, nachdem sich Heinlein wieder hinter den Schreibtisch verzogen hatte und auf ein baldiges Ergebnis hoffte. Obduktionen waren noch immer nicht sein Thema.
»Dinge ändern sich«, antwortete ich und parkte Yasmina bei Heinlein, während ich mich an Karls Seite stahl. »Hallo, Pia. Wie geht’s?«, fragte ich scheinheilig über den toten Nikola hinweg.
»Idioten, wie du einer bist, sollten gleich in die Psychiatrie eingeliefert werden, anstatt frei herumlaufen zu dürfen.«
»Sehr liebenswürdig. Danke.«
Ihr Blick streifte Yasmina, die wider Erwarten keine Skrupel an diesem Ort der Toten zeigte und ganz erwartungsvoll wirkte, wie eine Sichel.
»Es ist immer wieder ein Genuss, zwei Turteltäubchen wie euch beide zu beobachten«, mischte sich Karl ein und drückte die Stopptaste seines Aufnahmegerätes. »Bin gespannt, wann ich das euren Kindern vorspielen kann.«
»Können wir jetzt langsam mal?!«, knurrte Heinlein.
»Richtig. Wir haben nicht ewig Zeit«, stimmte Ernst mit erhobener Säge bei. »Das ist der erste Priester, den ich unters Messer kriege.«
Pia machte sich wieder an ihre Arbeit und suchte routinemäßig nach den verräterischen Anzeichen des Todes.
»Blassrote Totenflecke nur im Bereich der linken Hüfte und der Schulter, auf der das Opfer gelegen hat. Die andere, rechte Seite ist frei davon. Die Lage der Leiche wurde also nicht verändert …«
Ich überließ Pia dem festgeschriebenen Prozedere einer Leichenschau und ging zu Yasmina und Heinlein. »Wenn Ihnen schlecht wird, zögern Sie nicht, den Raum zu verlassen«, riet ich ihr. »Es ist keine Schande.« Insgeheim hoffte ich, dass sie mir widersprechen würde.
»So etwas habe ich noch nie gesehen. Ich bleibe.«
»Wie Sie wollen.« Mal sehen, wie lange sie’s aushält.
Heinlein hingegen war weniger begeistert. Ich hörte ihn nervös summen, damit er das Aufschlagen von schwerem totem Fleisch auf dem Edelstahltisch nicht hören musste, wenn Pia und Karl den Körper wendeten. Heinlein summt immer die gleiche Melodie: Jingle Bells. Ich habe nie kapiert, wieso er gerade diese Weise gewählt hat. Wahrscheinlich lag es an dem nicht abreißenden Intro, das ihn in einem Schlitten durch eine reine und unberührte Winterlandschaft
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