Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall
muss. Eingestürzte Häuserwände, verfallene Dachstühle, meterhohe Gesteinshalden und Schutt schaufelnde Bauarbeiter. Sie teilten uns mit, dass der Direktor der Denkmalpflege zusammen mit einem Mitarbeiter aus dem Baureferat in der Krypta des Domes nach etwaigen Gängen zur Katakombe suchte.
Wir stiegen die zwei Stufen durch das Kiliansportal in den Dom hinab und fanden uns in der größten Leichenhalle der Stadt wieder. Über uns im Türbogen der Aufbruch der Frankenapostel Kilian, Kolonat und Totnan aus Irland. In dieser Darstellung war die Tatwaffe nicht ein Schwert, sondern ein Speer, der den Heiligen tötete.
Es war eine Ewigkeit her, damals mit sechzehn, als ich das letzte Mal dieses Haus betreten und inständig um den Beistand des Herrn für die anstehenden Prüfungen gebetet hatte, damit meiner Versetzung, trotz aller berechtigten Zweifel, nichts im Wege stünde. Mein Pech war, dass Gott an diesem Tag nicht zu Hause war oder ich mich nicht deutlich genug ausgedrückt hatte. Jetzt erinnerte ich mich, das war einer der Gründe, weshalb ich mich von ihm verabschiedet hatte.
Ich schaute mich um, wie wir am schnellsten in die Krypta kämen. Yasmina ging voran, blieb im Langhaus stehen und winkte mich heran. Ich folgte und fand mich inmitten einer fast tausendjährigen Totengeschichte wieder.
»Sie können stolz sein, einen Dom mit dieser Geschichte zu besitzen«, sagte sie. »Der Kiliansdom ist die viertgrößte deutsche Kirche der Romanik.«
»Überflüssige Prachtbauten, erpresst aus Blut, Unterdrückung und Ausbeutung der Menschen«, entgegnete ich.
Sie scherte sich nicht weiter um meine Einwände und verwies auf die Grabdenkmäler, in Pfeiler eingelassene Steinplatten, der hier bestatteten Bischöfe der Würzburger Kirchengeschichte.
»Eine vergleichbare Herrschergalerie hat meines Wissens nach nur noch der Mainzer Dom aufzuweisen. Das älteste Denkmal stammt aus der Stauferzeit und zeigt Gottfried von Spitzenberg, der 1188 den Dom nach rund fünfzigjähriger Bauzeit weihte. Ich glaube, er starb auf einem Kreuzzug in Antiochia. Seine rechte Hand sollte nach seinem Tod nach Würzburg gebracht werden, doch ging sie dem Überbringer verloren. Gottfried war kaiserlicher Kanzler und …«
»… ein Schlächter im Dienste des Herrn.«
»Sie sehen alles nur negativ. Das Gute verschweigen Sie.«
»Ich verweigere mich der Verherrlichung von Menschen, die in der einen Hand das Kreuz und in der anderen das Schwert führten. Was hat das mit christlicher Nächstenliebe zu tun? Ist das die Botschaft Ihres Jesus?«
»Es waren andere Zeiten damals, in denen man seinen Glauben mit allen Mitteln verteidigen musste.«
»Indem man Andersgläubige, die an denselben Gott glaubten, abschlachtete?«
»Es gibt Gegenbeispiele. Dort, Fürstbischof Rudolf von Scherenberg, in einer unvergleichbar schönen und kunsthistorisch außergewöhnlichen Bearbeitung durch Tilman Riemenschneider. Mit über siebzig Jahren wurde Scherenberg 1466 Bischof. Er war ein kluger und sparsamer Mann, der das völlig zerrüttete Finanzwesen der Stadt wieder sanierte. Er ging gegen Zins und Wucher vor, modernisierte die Festung Marienberg, unterstützte den Neubau der Mainbrücke, untersagte den Import fremder Weine und förderte auch andere Städte. Mit ihm kamen kirchliche und wirtschaftliche Reformen voran, die bei Volk und Klerus nicht immer auf Gegenliebe stießen.«
»Und, hat man es ihm gedankt?«
Yasmina drehte sich kleinlaut weg. »Er wurde als Ketzer hingerichtet.«
Aus dem Hintergrund trat ein Mann auf uns zu. »Das war vor dem Krieg alles anders«, sagte er, Anfang sechzig, Halbglatze, die von grauen Strähnen an der Seite eingefasst war, Jeans, blaue Bomberjacke und abgestandenes Mundaroma.
»Was war alles anders?«, fragte ich.
»Na, alles hier. Dort oben, die Decke zum Beispiel, ist erst in den sechziger Jahren gebaut worden. Nach dem Bombenangriff von 1945 war nämlich die ganze Decke abgebrannt. Erst …«
Ich interessierte mich nicht dafür und wollte weitergehen, doch der Mann stellte sich mir mit der Hand nach oben zeigend in den Weg.
»Erst im Jahr 1967 ist der Dom wieder eröffnet worden«, führte er weiter aus, »doch zuvor haben sie eine Holzdecke eingezogen. Tja, und jetzt haben wir den Mist.«
Ich stutzte.
»Sie fragen sich bestimmt, was ich damit meine?«, sagte der Alte.
»Sie haben’s erfasst.«
»Der alte Bischof, der Döpfner, wollte eigentlich gar nichts machen. Einfach so lassen, wie’s ist.«
»Ein
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