Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall
grüßend zu.
»Nun, können Sie mir sagen, ob Ihnen ein Schlüssel abhanden gekommen ist?«
Er antwortete nicht sofort auf meine Frage, sondern wog verschiedene Möglichkeiten ab. »Um ehrlich zu sein, ja. Ich bin hier, um nach meinem Schlüssel zu suchen, den ich vorgestern im Bischöflichen Ordinariat versehentlich habe liegen lassen.«
»Und ist er wieder aufgetaucht?«
»Eben nicht. Das ist ja das Problem.«
»Ich nehme an«, fragte ich den jungen Mann, »Sie sind Angestellter oder Mitarbeiter im Ordinariat?«
»Bin ich. Aber ich habe keine Ahnung, wo sich dieser Schlüssel befinden könnte. Sofern er jemals dort gelegen hat.«
»Natürlich hat er!«, protestierte der Denkmalschützer.
»Ich hatte meine Taschen bei Dr. Mayfarth stehen lassen, als wir vom Fund hörten und dazugerufen wurden.«
»Wer ist Dr. Mayfarth?«, fragte ich.
»Der Bauund Kunstreferent des Bistums, mein Chef«, antwortete der junge Mann. »Er müsste wissen, ob …«
»Verdammt, ja«, schnitt ihm der Denkmalschützer das Wort ab, »dazu müsste er erst mal wieder aus der Versenkung auftauchen.«
Yasmina schaltete sich urplötzlich in das Gespräch ein.
»Ist er denn verschwunden?«
»Dr. Mayfarth ist gestern und heute nicht zum Dienst erschienen. Niemand weiß, wo er sich aufhält«, antwortete der junge Mann. »Das ist überhaupt nicht seine Art. Normalerweise hinterlässt er eine Nachricht, wenn er dringend wohin gerufen wird.«
»Weiß seine Frau, wo er sich aufhält?«, fragte ich.
Der junge Mann lachte spontan auf, verschluckte aber jede weitere Gefühlsregung. »Dr. Mayfarth ist nicht verheiratet. Er ist Priester.«
Hoffnung keimte in mir auf. »Könnten Sie Dr. Mayfarth beschreiben?«
»Wie bitte?«, antwortete der junge Mann, »Sie kennen Mayfarth nicht? Sein Gesicht kennt jedes Kind in der Stadt.«
»Nun, da ich längst keines mehr bin, möchte ich wissen, wie er ausschaut. Das müssten Sie doch wissen, wenn er Ihr Chef ist.«
»Klar weiß ich das.« Er suchte händeringend nach einer passenden Beschreibung, bis ihm einfiel, dass er sie bei sich trug.
»Warten Sie.« Er öffnete seine Tasche, durchwühlte die Unterlagen und förderte eine Fotokopie zutage, die er mir reichte.
»Der da links ist Dr. Mayfarth. Der, der so grimmig schaut.«
Was ich da in den Händen hielt, war ein Zeitungsbericht mit der Schlagzeile »Sensationsfund am Kilianshaus«. Darunter das Bild, das den Chef der Denkmalpflege, einen Mitarbeiter und den Bischof zeigte. An seiner Seite der ominöse Kunstreferent Dr. Mayfarth – Nikolas Mörder. Um den Hals das goldene Kreuz. Kein Zweifel, das war er.
Dieser Mayfarth schaute tatsächlich so grimmig, als wollte er den Fotografen für den unerlaubten Schnappschuss erwürgen. Auf dem Tisch vor ihm lagen der Zylinder und der zusammengerollte Papyrus.
»Kann ich die Kopie behalten?«, fragte ich. Der junge Mann hatte nichts dagegen.
»Haben Sie eine Idee, wo sich Dr. Mayfarth aufhalten könnte?«, fragte ich.
»Nein, er ist seit gestern wie vom Erdboden verschluckt«, antwortete der junge Mann. »Fragen Sie doch mal den Bischof. Vielleicht hat sich Mayfarth bei ihm zurückgemeldet.«
»Wo kann ich ihn finden?«
»Vor ’ner halben Stunde war er noch oben an der Katakombe.«
Ich ordnete meine Gedanken neu, während wir die Stufen hoch ins Kirchenschiff erklommen. Diesmal hatte der scheinheilige Alte ein Pärchen im Schlepptau, das vor dem Hochaltar stehend die in der Mitte des Altars befindliche Aussparung fixierte, hinter der die Häupter der Frankenapostel aufbewahrt wurden. Seinen Gesten entnahm ich, wie die drei Iren vor dreizehnhundert Jahren in diese Stadt gekommen waren, die sie bei ihrer Ankunft als schön und liebenswert bezeichnet hatten. Der Alte zog seine Hand quer über den Hals und verzog das Gesicht.
Einer der Bauarbeiter schickte uns in die Kiliansgruft, tief im Bauch des Neumünsters gelegen, wo wir den Bischof finden würden. Der Legende nach sollen hier Kilian, Kolonat und Totnan in der Nacht des 8. Juli 689 durch die Hand gedungener Mörder enthauptet worden sein. Ihr Auftraggeber war, so wird berichtet, die unselige Gailana, nach damaligem Kirchenrecht die unrechtmäßige Gattin ihres Schwagers, des Herzogs Gozbert. Der heilige Kilian soll dagegen erst spät opponiert und schließlich von Gozbert verlangt haben, sich von ihr zu trennen. Gailana wiederum zürnte dies Kilian und nutzte einen Kriegszug Gozberts zur tödlichen Abrechnung mit dem ungeliebten Störenfried.
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