Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall
Schrein ruhte.
»Früher wurden in diesem Altar die Reliquien sowie Gebrauchsgegenstände der Frankenapostel aufbewahrt. In die runden Löcher konnte man seinen Kopf stecken und wurde von Augenund Kopfleiden geheilt.«
»Daran glauben Sie?«, fragte ich kritisch.
»Das ist nicht entscheidend. Die Menschen brauchen etwas, worin sich ihre Religiosität manifestiert. Etwas Konkretes, was man anfassen, sehen und riechen kann. Auf der ganzen Welt, in allen Religionen finden Sie zahlreiche Entsprechungen.«
In der Ecke stieß ich auf die Büste eines Mannes. Dahinter war eine Steintafel angebracht. Sie erinnerte an einen Sohn der Stadt, einen Priester, der 1942 im Konzentrationslager von Dachau starb. Die Urne mit seiner Asche war vor zwanzig Jahren in der Kiliansgruft beigesetzt worden. Er war einer der Märtyrer dieses Jahrhunderts, die für ihren Gott und ihren Glauben in den Tod gegangen waren.
Der Bischof trat auf mich zu. »Sie wollen mich sprechen?«
»Nur eine einzige Frage: Wo kann ich Dr. Mayfarth finden?«
»Wenn ich das wüsste. Er ist seit zwei Tagen verschwunden. Niemand weiß, wo er sich aufhält. Am wenigsten ich. Dabei brauche ich ihn jetzt mehr denn je.«
»Gibt es Probleme?«
»Die Kurie sitzt mir im Nacken wegen dieses seltsamen Fundes aus der Katakombe, Kollegen aus aller Welt fragen, ob wieder Priester in unserem Land verfolgt und getötet werden, und zu guter Letzt habe ich da noch einen Bruder am Hals, dessen alleinige Anwesenheit in meinem Bistum bereits ausreicht, mich vorzeitig in den Ruhestand zu versetzen.«
»Wer ist dieser Bruder?«, forderte Yasmina unverhohlen.
»Jemand aus längst vergessener Zeit, Schwester Yasmina«, antwortete er gereizt.
Mir war, als träfe mich eine Keule. »Schwester?!« Ich schaute sie vorwurfsvoll an. Sie erwiderte meinen Blick emotionslos.
»Haben Sie das nicht gewusst?«, fragte der Bischof.
»Nein. Wenn ich eine Ahnung gehabt hätte …«
»Dann?«, fragte sie provokant.
»Ich dachte, man hätte Sie informiert«, kam mir der Bischof zuvor. »Eigentlich hätte das ja Mayfarth erledigen sollen. Es ist sein Job, sich um alles, was das Bauen und die Kunst im Bistum betrifft, zu kümmern. Schwester Yasmina ist quasi sein Pendant. Nur auf anderer Ebene. Wenn Sie nun keine weiteren Fragen mehr haben, ich muss wieder an die Arbeit.«
»Können Sie mir noch sagen, was der genaue Inhalt dieses Papyrus war, den Sie und Dr. Mayfarth zutage gefördert haben?«
Der Bischof tat unwissend. »Ich wünschte, ich könnte es, aber leider hat uns die Zeit gefehlt, den Inhalt einer näheren Prüfung zu unterziehen.«
Ich zeigte ihm die Fotokopie, die mir der junge Mann zuvor überlassen hatte. »Aber man sieht doch auf dem Bild, dass der Zylinder geöffnet und der Papyrus entnommen worden ist.«
»Richtig, aber weiter kamen wir leider nicht. Wie Sie sehen, wurden wir von den Journalisten bei unserer Arbeit unterbrochen.«
»Ohne einen Blick auf den Papyrus zu werfen?«
»Exakt.«
Ich glaubte ihm kein Wort.
Es war Zeit für eine Standortbestimmung. Ich zog mich in das nahe gelegene, verträumte Lusamgärtlein zurück. In meiner ungebetenen Gefolgschaft Yasmina. Ich bat sie, mir ein paar Minuten Ruhe zu gönnen, da ich nachdenken müsse, und auf einer Bank zu warten, die neben dem Grabstein des 1230 in Würzburg verstorbenen Minnesängers Walther von der Vogelweide stand. Seinem letzten Willen entsprechend war die romantisch abgelegene stille Grabstelle mit einer Vogeltränke ausgestattet worden. Ein Strauß vertrockneter Blumen auf dem Grabstein hielt die Erinnerung an einen der berühmtesten Sänger mittelalterlicher Liebeslieder wach.
Ich setzte mich unter einen der sechzehn Bögen eines mit Ornamenten verzierten Kreuzganges aus dem 12. Jahrhundert, der dem Grab einen kunstund würdevollen Rahmen verlieh. Das Wechselspiel von Säulen und Pfeilern wird ergänzt durch zwei in grünbraunen Sandstein gemeißelte Darstellungen. Die eine zeigt Christus auf dem Thron sitzend, das Evangelium haltend, die andere meinen Namenspatron Kilian in stoischer, weltabgeschiedener Pose, als gäbe es nichts in diesem Seinszustand, worüber man sich sorgen müsste. Wahrscheinlich kannte er keine hinterhältigen Priester wie diesen Mayfarth – und leider wohl auch Nikola.
Die Sache war so krumm wie die Unbefleckte Empfängnis. Nikola hatte mich zum Diebstahl eines offensichtlich wertvollen und wichtigen Manuskriptes aus der Frühzeit des Mittelalters angestiftet. Die Schlüssel
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