Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall
1600 erbaut worden ist.
Kaum auf dem Kardinal-Döpfner-Platz angelangt, liefen wir dem Bischof in die Arme, der mit dem Mönch Alvarez, den ich ein paar Tage zuvor mit dem Schiff hatte kommen sehen, in eine Limousine stieg.
»Geht es auf Reisen?«, fragte ich ihn.
»Ich bin schon gar nicht mehr hier. Mein Flieger wartet nicht«, antwortete er und schob sich an mir vorbei auf den Rücksitz, während Alvarez wieder ausstieg.
Dann geschah etwas Unerwartetes.
»Schwester Yasmina«, sagte er nicht ohne Groll, »wieder im Auftrag des Herrn unterwegs?«
»Alvarez?!« Yasmina war sichtlich nicht erfreut. »Solltest du nie wieder einen Fuß auf christliche Erde setzen?«
»Yasmina, wirst du niemals lernen, wer deine wirklichen Freunde sind?«
»Alvarez, komm endlich!«, rief der Bischof aus dem Fenster der Limousine.
»Du siehst, ich muss dem Wort des Bischofs folgen. Ich hätte gerne noch ein wenig mit dir gesprochen, Schwester. Sehen wir uns in Rom?«
»Mit Sicherheit nicht.«
Ohne ein weiteres Wort stieg Alvarez ein, und der Wagen fädelte sich in den Verkehr ein.
»Was war denn das für ein Auftritt?«, fragte ich Yasmina, die den Wagen mit ihrem Blick verfolgte, als sei der Leibhaftige mit ihm auf der Flucht.
Sie wandte sich ab. »Ich muss telefonieren.«
»Sie bleiben jetzt und beantworten meine Frage. Also, woher kennen Sie sich?«
»Das geht Sie gar nichts an! Und jetzt lassen Sie mich los.«
Sie entwand sich meinem Griff mit erstaunlicher Geschicklichkeit und verschwand mit dem Handy am Ohr hinter einer Hausecke.
»Vielleicht kann ich Ihnen helfen?«, sprach mich eine Stimme von hinten an.
Ich drehte mich um und erblickte den jungen Mann, den ich tags zuvor in der Krypta mit dem Chef der Denkmalpflege angetroffen hatte. Er hielt einen Stapel Unterlagen und Briefe in der Hand, die mir seltsam vertraut vorkamen. »Wie könnten Sie mir helfen?«
»Schwester Yasmina und Bruder Alvarez kennen sich schon sehr lange.«
»Woher?«
»Als es um den Tod Johannes’ XXIII. und um das plötzliche Ableben Johannes Pauls I. ging.«
Ich musterte den Jüngling und fragte mich, wie alt er wohl sein mochte und woher er Yasmina kannte.
»Sie fragen sich jetzt bestimmt, woher ich das alles weiß und wieso ich Ihnen das nicht schon bei unserem ersten Treffen erzählt habe.«
Der Junge konnte Gedanken lesen. »Genau. Klären Sie mich also bitte auf.«
»Kommen Sie und begleiten Sie mich ein paar Schritte zu meinem Büro, dann erzähle ich Ihnen alles.«
Ich folgte ihm und bekam einen Abriss der letzten fünfzig Jahre Kirchengeschichte zu hören.
»Es hat alles mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil begonnen, auf dem entscheidende Beschlüsse zu einer wirklichen innerkirchlichen Reform getroffen wurden. Von Johannes XXIII. am 11. Oktober 1962 eröffnet, sollte vom Konzil eine entscheidende Neuausrichtung und eine Öffnung der Kirche ausgehen. So wurde zum Beispiel die Rolle der Laien in der Kirche gestärkt und das ökumenische Gespräch mit den anderen christlichen Kirchen und den nichtchristlichen Religionen gefördert. Doch der reformwillige Johannes überlebte das Konzil nicht und starb. Einer der engagiertesten Berater an seiner Seite war Bruder Joao Alvarez aus Brasilien, der mit 21 Jahren an den Heiligen Stuhl gekommen war und durch seine sozialliberalen Ansichten die Aufmerksamkeit des Papstes erregt hatte. Er war ein früher Vertreter von dem, was später ›Befreiungstheologie‹ genannt wurde und nach jesuanischem Vorbild eine ›Kirche der Armen‹ propagierte, die sich wie Jesus zu seiner Zeit der gesellschaftlichen Randgruppen annehmen sollte. Auf dieser Basis versuchten sie, Marxismus und Katholizismus miteinander zu verbinden.«
»Jesus ein Marxist?«
»Es gab dazu in den siebziger Jahren einige vom Papst auferlegte Bußschweigen prominenter südamerikanischer Bischöfe, die öffentlich die Befreiungstheologie unterstützten und im USImperialismus den Hauptverantwortlichen für das Elend in der Dritten Welt sahen. Aber das ist eine andere Geschichte, zurück zu Alvarez … Er war vom Tod Johannes’ XXIII. erschüttert und glaubte nicht an einen natürlichen Tod. Wie besessen sammelte er Material, entwickelte wilde Theorien und fand schließlich im Opus Dei, der gerade im Begriff war, sein Netz über den Vatikan zu ziehen, den passenden Schuldigen. Die Sache verlief jedoch im Sand, und das Konzil ging 1965 zu Ende. Alle glaubten an eine moderne und der Welt zugewandte katholische Kirche. Die
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