Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall
damaligen politischen Verhältnisse verhinderten jedoch die lang ersehnte und bitter notwendige Öffnung der Kirche nach außen, und der altbekannte Konservatismus fasste wieder Fuß. Viele Theologen, darunter der Tübinger Hans Küng, forderten die Umsetzung der Konzilsbeschlüsse. Zur Belohnung wurde ihnen das Lehramt entzogen. Daraufhin trat Alvarez wieder in Erscheinung. Die Jahre bis zum Tod von Paul VI. hat er dann irgendwo in Südamerika und in Irland verbracht. Dann kehrte er zurück und hoffte auf einen Neubeginn, der sich mit Johannes Paul I. auch abzeichnete.«
»War das nicht der, der keinen Monat lang Papst war?«
»Exakt 33 Tage. Alvarez hatte sich in der kurzen Amtszeit zu ihm vorgearbeitet und sah in ihm die große Chance für die Reform zu einer Kirche im Dienste des Volkes, wie er es nannte. Nach dem Tod Johannes Pauls I. trat Alvarez wieder mit seinen Verschwörungstheorien auf den Plan, schaffte es aber trotzdem, bis zum 13. Mai 1981 die volle Unterstützung des engeren Rates um Johannes Paul II. zu genießen. Das änderte sich schlagartig mit dem Attentat des Ali Agca auf dem Petersplatz. Die sechzehnjährige Augenzeugin Yasmina, die in unmittelbarer Nähe des Attentäters gestanden hatte, berichtete von einem kurzen Gespräch Agcas mit einem Mann rund dreißig Minuten vor dem Anschlag, den sie als Bischof erkannt haben wollte. Anfänglich konnte sie ihn gut beschreiben, anhand eines Fotos sogar identifizieren, und war für eine Untersuchung, die Alvarez auf eigene Rechnung vorantrieb, die entscheidende Kronzeugin.«
»Wen hatte sie denn erkannt?«
»Davon drang überhaupt nichts an die Öffentlichkeit. Nur, dass es jemand aus dem Umfeld Kardinal Armbrusters, des jetzigen Opus-Dei-Leiters, gewesen sein soll. Yasmina konnte sich aber plötzlich an nichts mehr erinnern, und Alvarez stand mit seiner Privatuntersuchung im Regen. Er reiste ihr nach, bedrängte sie, ihre Aussage zu wiederholen, doch es war sinnlos. Der wieder genesene Papst machte daraufhin kurzen Prozess. Er verbannte ihn aus dem Vatikan.«
»Und was wurde aus Yasmina?«
»So genau weiß ich das nicht. Man sagt, dass Yasmina und ihre Eltern ins baden-württembergische Weikersheim gezogen seien, wo sie einige Jahre lebten. Dann ging sie zum Studium nach Köln, danach ins Ausland und später nach Rom.«
»Haben sich Yasmina und Alvarez wieder gesehen?«
»Ich habe gehört, dass sich die beiden im Ausland ein paarmal über den Weg gelaufen sein sollen, wo Alvarez sie zur Aussage über die damaligen Ereignisse gedrängt hätte.«
»Und, wurde die Sache nochmals aufgerollt?«
»Wo denken Sie hin! Nachdem das Opus Dei zwei Jahre nach dem Attentat zur päpstlichen Personalprälatur gemacht wurde, wird jede erdenkliche Äußerung dahingehend im Keim erstickt.«
»Wieso hat man gerade Yasmina zur Prüfung des Papyrus angefordert?«
»Keine Ahnung. Der Bischof musste den Fund melden, und plötzlich stand sie in der Tür. Das ist alles.«
»Wie kommt dann Alvarez zur gleichen Zeit in die Stadt? Ist das nicht ein wenig viel Zufall?«
»Das müssen Sie ihn selbst fragen.«
Hätte ich gern, wenn ich es zuvor gewusst hätte. Doch woher wusste er, der junge Angestellte Mayfarths, so gut Bescheid?
»Sagen Sie mir doch, woher Sie das alles wissen. Ich wette, Sie sind noch keine dreißig Jahre alt?«, fragte ich ihn.
»Mein Chef, Dr. Mayfarth, hat es mir erzählt.«
»Wann?«
Der Junge suchte nach einer Antwort. »Das ist schon einige Zeit her.«
»Wie lange? Ein, zwei Tage?«
Jetzt wurde ihm ungemütlich. »Jahre. Bestimmt.«
»Wissen Sie, ich glaube Ihnen nicht. Gestern noch war kein Sterbenswörtchen aus Ihnen herauszubekommen, und jetzt erzählen Sie mir eine wüste Geschichte um Papstmorde, südamerikanische Befreiungstheologen und das Opus Dei, das als geheimes Netzwerk im Hintergrund die Fäden zieht. Welches Ziel verfolgen Sie damit?«
Der Junge hatte genug und wollte sich losreißen. Ich hielt ihn fest. »Sie bleiben und sagen mir endlich, wer Sie beauftragt hat.«
»Lassen Sie mich.«
»Reden Sie.«
»Ich habe Ihnen alles erzählt.«
»Wer ist Ihr Auftraggeber?«
»Habe ich Ihnen doch gesagt.«
Ein letzter Befreiungsversuch scheiterte, und der Stapel Papiere und Briefe in seinen Armen ging zu Boden. Ich erkannte, dass
sie alle an Dr. Mayfarth gerichtet waren. Der Junge war also in seiner Wohnung gewesen. Mir ging ein Licht auf. »Mayfarth ist hier. Richtig? Er hält sich versteckt und hat Sie beauftragt, seine
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