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Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall

Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall

Titel: Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Rausch
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sehen, wie die Trauergäste reagierten. Es war totenstill. Selbst der Organist hatte sein Wirken eingestellt und blickte wie die Übrigen auf mich herab.
    »Sie sind die wahre Ausgeburt eines Schweins«, flüsterte ich.
    »Falsch, ich bin Ihr Hirte«, triumphierte Oberhammer. Vorgeführt, ging ich nieder. Von oben blickte das Foto Nikolas auf mich herab, neben mir saugte Oberhammer die ganze
    Pracht des Schauspiels zufrieden in sich ein. Das war nun der Moment, in dem ich hätte sterben wollen, schuldig oder nicht. Mayfarth erlöste mich. Er kam mir aus der Sakristei zu Hilfe und fasste mich am Arm.
    »Es reicht«, bestimmte er und gab dem Organisten ein Zeichen, damit die Andacht beginnen möge.
    Ich erhob mich. »Sie werden in der Hölle schmoren, schneller als Sie sich vorstellen können.«
    Oberhammer lächelte, schlug das Kreuzzeichen und setzte zur letzten Station meines Kreuzweges an.
    Ich war wie festgemauert, starrte nach vorne, wagte es nicht, mich umzudrehen und mich erneut den Blicken zu stellen. Doch ich hatte keine Chance. Oberhammer zog mich an der Leine mit sich. Als blickte man voraus, auf den kommenden Tag des Jüngsten Gerichts, nachdem vor aller Augen das Sündenregister eines ganzen Lebens, die intimsten Verfehlungen, Hoffnungen und Wünsche offenbar geworden sind, starrten mich Hunderte Augen verachtend an. Ich entdeckte meine Mutter. Sie weinte, weil ihr eigenes Fleisch und Blut Schande über sie gebracht hatte.
    Auch der schlimmste Weg und die größte Schmach ist irgendwann zu Ende. Ich musste alle Kraft aufbieten, um meinen Kopf erhoben durch die Reihen zu führen. Heinlein und der Kollege beobachteten das Ganze vom Kircheneingang aus. In ihren Augen konnte ich lesen, dass mich meine Eindrücke nicht täuschten.
    »Heinlein, übernehmen Sie wieder«, bestimmte Oberhammer und hielt ihm unser beider Fessel hin.
    Er hatte seinen Triumph gehabt, ihn bis zur bitteren Neige meiner Selbstachtung ausgekostet, jetzt gab es nichts mehr für ihn zu gewinnen, und er steuerte die Rückreise an.
    Das war nun überhaupt nicht im Plan. Heinlein schaute mich fragend an. Bevor ich reagieren konnte, kam mir erneut Mayfarth zu Hilfe, während die Gemeinde im Hintergrund das Eröffnungslied sang. »Herr Oberhammer, die Andacht ist noch nicht zu Ende.«
    »Kilian hat bekommen, was er wollte, ein letztes Abschiednehmen«, konterte Oberhammer.
    »Aber Sie wollen ihm doch nicht das Recht verwehren, in stiller Buße und im Gebet mit der Gemeinde seine Sünden zu bekennen? Das ist unchristlich und verstößt im größten Maße gegen die Gnadenerweisung des Herrn.«
    »Eine Begnadigung kann er sich gleich aus dem Sinn schlagen. Die Sache ist erledigt.«
    Oberhammer zog mich weiter. Verdammt, ich war aufgeschmissen. Jetzt half nur noch ein Wunder.
    Oder die Segen spendende Kraft einer höheren Macht.
    »Ich werde den Innenminister bei seinen Exerzitien begleiten«, sagte Mayfarth. »Er hat ein sehr tiefes Verständnis, wie er mir sagte, von der durchdringenden und reinigenden Kraft des Gebets in stiller Andacht. Ebenjene Besinnung im Gebet, die ihn seit frühester Kindheit begleitet und die ihm durch die schwierigsten Entscheidungen seines Amtes geholfen hat. Diesem gelebten Christentum soll eine Renaissance in der Verwaltung und seinen jeweiligen Organen zuteil werden, versprach er mir.«
    Als sei Oberhammer zu Lots Frau mutiert und der Ort, auf den er blickte, Sodom, erstarrte er, und ich sah ein makelloses Weiß in sein bekehrtes Gesicht treten. Dieser Handlungsunfähigkeit setzte ich einen entschiedenen Ruck nach hinten entgegen, der uns in die offenen Arme des Christentums führte. Mayfarth schloss die Tür und führte uns an einen Platz unterhalb der Empore.
    Zähneknirschend ließ Oberhammer die Gebete und Fürbitten, die Reden der Trauergäste, das Orgelspiel und die Lieder über sich ergehen, während ich in stiller Andacht auf das Kommen meiner Rache sann. Heinlein begab sich derweil auf Position, der uneingeweihte Kollege blieb an der Tür.
    Mayfarth ergriff das Wort an die Gemeinde. »Liebe Brüder und Schwestern im Herrn. Bevor wir nun Abschied von unserem geliebten und geschätzten Bruder Nikola nehmen und in stiller Andacht seiner gedenken wollen, lasst mich noch ein persönliches Wort an euch richten. Wie wir alle wissen, ist Pater Nikola einem schrecklichen und uns völlig unverständlichen Verbrechen zum Opfer gefallen. Er war lange Jahre in dieser Gemeinde als Seelsorger tätig und hat, wie mir

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