Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall
berichtet wurde, vielen von euch Zuspruch und Hilfe zuteil werden lassen. Dieselbe Unterstützung möchte ich nun von euch erbitten, wenn es um die Vergebung der Sünden anderer geht. Niemand weiß, in welcher aussichtslosen Lage und Bedrängnis sich dieser Mensch befunden haben mag, der diese schreckliche Tat beging. Was muss in ihm vorgegangen sein, dass er keinen anderen Ausweg mehr wusste. Ich will nicht die Tat entschuldigen, doch möchte ich euch aufrufen zu handeln, wie es der Herr getan hat. Seinen Peinigern im brüderlichen Verständnis die Hand reichen, um mit ihm, unserem Herrn, einzukehren in sein Reich, das da kommen möge.«
Die Orgel erklang. Das war mein Einsatz.
»Ich möchte beichten«, sagte ich zu Oberhammer und gab Mayfarth das verabredete Zeichen.
»Was wollen Sie?«, kam es zurück.
»Um Vergebung meiner Sünden bitten.«
»Einen Scheiß wollen Sie.« Oberhammer steuerte auf die Tür zu.
»Wohin so schnell, Herr Oberhammer?«, kam mir zum dritten Mal Mayfarth zu Hilfe.
»Er will mir das heilige Sakrament der Beichte verweigern«, insistierte ich.
»Ich hab die Faxen dicke«, rechtfertigte sich Oberhammer.
»Sie kommen zurück in Ihre Zelle. Punkt.«
»Jetzt reicht es«, konterte Mayfarth und stellte sich uns in den Weg. »Ich werde offiziell Beschwerde gegen Ihr Vorgehen einlegen, wenn Sie dem Mann seinen Anspruch auf Buße verweigern.«
Ohne viel Federlesens packte er mich bei der Hand und zog mich zu den Beichtstühlen, in meiner Folge Oberhammer. Er schob den Vorhang beiseite, damit ich eintreten konnte.
Ich hielt die Fessel hoch. »Soll er vielleicht mit reinkommen?«
»Natürlich nicht«, bestimmte Mayfarth.
Gutes Timing ist die halbe Miete. Die Orgelmusik endete, und die Kirchengemeinde verrenkte die Köpfe nach uns.
»Beginnen Sie mit den Fürbitten!«, rief Mayfarth einem Messdiener zu. »Ich bin gleich so weit. Ein Bruder erbittet die Beichte, sofern der Herr Polizeidirektor uns nicht länger aufhält.«
Oberhammer sah sich im Mittelpunkt des Interesses.
»Na, machen Sie schon«, drängte ich.
Er brummte vor Wut, bis ein Klacken mich befreite.
»Kommen Sie bloß nicht auf dumme Ideen«, fletschte er mich an.
Ich schloss den Vorhang hinter mir, während Oberhammer davor Position bezog.
»Sie warten auf den richtigen Moment. Hören Sie?«, flüsterte Mayfarth durch das Gitter.
Ich bejahte. Vorsichtig schob ich den Vorhang zur Seite. An Oberhammers Rücken vorbei sah ich den Wache stehenden Kollegen an der gegenüberliegenden Eingangstür. Heinlein hatte an der Tür auf meiner Seite Stellung bezogen. Sie war rund fünf Schritte von meiner Position entfernt. Auf die Fürbitten folgten die Kondolenzen der Ortsvereine. Die Vertreter der Kirchengemeinde, des Kriegervereins, der Feuerwehr und weitere zwangen sich auf beiden Seiten des Kirchenschiffes den schmalen Gang entlang. Wie es üblich ist, trug jeder einen Kranz mit der Trauerbekundung auf einer Schleife mit sich. Auf der gegenüberliegenden Seite wie auf meiner wurde es unruhig. Umstehende gingen zur Seite, soweit es ihnen möglich war. So auch auf meiner Seite. Oberhammer war der Pfropfen im Gang, der weichen musste.
»Jetzt kommt’s drauf an«, flüsterte ich Mayfarth zu.
»Gut, es geht los.«
Ich duckte mich und wartete auf das verabredete Kommando.
»Herr Oberhammer, kommen Sie bitte«, hörte ich. »Nein, zur anderen Seite. Nur einen Moment, damit die Trauergäste durchkommen.«
»Jetzt!«, presste Mayfarth mir durchs Gitter zu.
Ich schob den Vorhang zur Seite und hastete zum Seitenausgang, wo Heinlein auf mich wartete. Die Unruhe hielt an, bis alle zwischen Altar und Sarg Aufstellung genommen hatten. Niemand achtete auf mich.
»Der Schlüssel steckt«, sagte er.
Seine Augen waren traurig. Wir beide wussten in diesem Moment, dass wir uns wahrscheinlich zum letzten Mal sahen. Ich schnaufte durch, würgte ein aufsteigendes Gefühl des Abschiednehmens mühselig beiseite.
»Komm«, forderte ich ihn auf. »Alles ist besser als das hier.« Er lächelte. »Ich bin nur ein kleiner Bulle in einer kleinen Stadt.«
»Du hast es in der Hand.«
»Ich bin nicht wie du. Leider. Und jetzt hau schon ab.« Ich umarmte ihn. »Danke für alles, Kumpel.«
»Ich werde dich vermissen«, antwortete er.
Dann schob ich mich zur Tür hinaus. Der Wagen stand bereit. Ich öffnete die Tür. Ein letzter Blick zurück.
Heinlein wischte sich die Nase mit dem Ärmel ab, bevor er die Tür hinter sich schloss.
XI.
Nach einer
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