Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall
umhören«, versprach Enzo, »ob ich über diese Yasmina etwas herausfinden kann. Es wird aber ein bisschen dauern. Die Leute sprechen nicht gerne über die Kirche.
Du weißt, jeder Zweite lebt hier von ihr.«
»Guter Enzo. Ohne dich würde ich ganz schön alt ausschauen.«
»Das tust du auch so«, lachte er und erhob sich. »Du hast Glück, dein Zimmer ist gestern frei geworden. Schlaf dich erst mal aus. Dann sehen wir weiter.«
Ich folgte ihm. Zwei Stockwerke später ließ ich mich erschöpft aufs Bett fallen. Von draußen drangen die ersten Morgengespräche und das Aufschlagen der Läden zu mir herauf. Das Erwachen eines neuen Tages in dieser Stadt beruhigte mich, als wär’s mein erster seit Jahren gewesen. Durch die Ritzen der Lamellen schnitt grelles Sonnenlicht quer über meine Füße. Ich spürte ein wohliges Kribbeln.
*
Heinlein hatte sich für den Rest des Tages noch nicht einmal krankgemeldet. Er ging einfach. Zurück ließ er sein verwaistes Büro.
Sabine, die Sekretärin, hing an der Strippe und teilte aufgeregt ihrer Freundin die neueste Entwicklung in Sachen »entflohener Chef« und das anschließende Donnerwetter mit, das seit dem gestrigen Abend auf Oberhammer herniedergegangen war. Der Polizeipräsident persönlich hatte sich ihn vorgeknöpft. Seit dem Morgen war die Dienstaufsicht im Hause und führte eine kurzfristig einberufene Untersuchung der Umstände durch, die dem freigestellten KHK Kilian die Flucht erlaubt hatten. Die Presse hatte davon Wind bekommen und harrte im Konferenzraum auf die ersten offiziellen Stellungnahmen. Ansonsten herrschte eisige Stille in den Gängen. Hinter den Türen hatten sich die Kollegen der anderen Abteilungen verschanzt und diskutierten die Lage.
Heinlein hatte sich noch nicht mal etwas ausdenken müssen, so eindeutig war der gestrige Ablauf gewesen. Auf Anordnung Oberhammers hatte er den Kollegen Kilian mittels Handschellen an sich gekettet und unter Bewachung eines Kollegen nach Veitshöchheim gebracht. Die Aktion stand unter Leitung des Polizeidirektors Oberhammer, der ihn, wie er ausdrücklich betonte, dazu aufgefordert hatte, Kilian von sich zu lösen und ihn an Oberhammer zu übergeben. Während der Vorgänge in der Kirche hatte er sich ordnungsgemäß an einen der Ausgänge begeben und ihn bewacht. Welchen Weg der Geflohene genommen hatte, konnte er nicht beantworten. Bei ihm kam ich auf jeden Fall nicht vorbei. Zudem war die Lage äußerst unübersichtlich gewesen. Erst als der Polizeidirektor aufgelöst und ratlos bei ihm aufgetaucht war, hatte er vom Verschwinden des KHK Kilian erfahren. Eine vermeintliche Komplizenschaft zwischen Kilian und Dr. Mayfarth, die Oberhammer ständig wiederholt hatte, war seiner Meinung nach auszuschließen, im eigentlichen Sinne absurd. Der Bauund Kunstreferent des Bistums sei über jeden Zweifel erhaben und habe zu keinem Zeitpunkt Grund zur Sorge gegeben.
Die Befragung endete für Heinlein mit dem Hinweis, dass er sich korrekt verhalten hatte und sich nicht weiter grämen sollte, was man jedoch von seinem Vorgesetzten und dem Hauptverantwortlichen an dem Desaster nicht behaupten konnte. Beförderungsstopp und Versetzung in eine Wache an der tschechischen Grenze seien noch die mildesten Konsequenzen, denen er sich zu stellen habe.
Heinlein nahm dies alles nur am Rande wahr. Seine Gedanken kreisten um die letzten Worte Kilians und in welchem Teil der Welt er sich nun aufhalten mochte. Die Reisen, auf die sich Heinlein in seinen Träumen begab, führte Kilian tatsächlich herbei. »Du hast es in der Hand.«
Heinlein trat auf den Parkplatz hinaus.
Pia erwartete ihn bereits. »Und, wie ist es gelaufen?«
»Sie konnten mir nichts anhängen. Für Oberhammer allerdings läutet das Totenglöcklein.«
»Das freut mich für dich, wirklich. Und Oberhammer sind wir auch endlich los.«
»Kann sein.«
»Ist das alles? Mensch, Schorsch, freu dich doch darüber. Was hat er Kilian und dir das Leben schwer gemacht.«
»Du hast ja recht. Oberhammer dürften wir abserviert haben. Selbst wenn er das anhängige Dienstverfahren übersteht, wird er zukünftig höchstens noch Schweinehälften kontrollieren dürfen. Das passt.«
Heinlein zwang sich zu einem zufriedenen Lächeln.
»Und wo steckt Kilian?«, fragte Pia. »Er hat sich weder von mir verabschiedet, noch hat er mich in den Plan eingeweiht.«
»Mir geht es nicht anders«, log Heinlein.
»Komm, erzähl mir nicht so ’nen Scheiß. Ohne dich und deine Hilfe hätte das
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