Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall
hatte sie nicht?«
»Namen konnte er sich nie merken, aber Gesichter.«
»Und wieso soll er über ihre Anwesenheit erstaunt gewesen sein? Ist doch ’ne normale Sache.«
»Mein Gott, bin ich Jesus?! Keine Ahnung.«
Heinlein kratzte sich im Nacken. Das eindeutige Zeichen, dass ihn irgendetwas wurmte. »Kilian hatte mich vorgestern angerufen, als er ergebnislos alle Verbindungshäuser nach der Tatwaffe abgegrast hatte. In seiner Begleitung war diese Signora. Vielleicht haben sie das Opfer getroffen? Aber nein, das ist Unsinn, sie arbeitet für den Vatikan. Und außerdem ist sie Italienerin.«
»Dafür schien sie mir aber perfekt Deutsch zu sprechen.«
»Stimmt auch wieder.«
»Was jetzt?«
Heinlein trat den Rückweg in sein Büro an. »Komm mit.«
Nach einem Telefonat mit seinem Kollegen in Tauberbischofsheim hatte Heinlein den Meldeauszug von Signora Yasmina della Schiava und ihren Eltern aus den Jahren 1981 bis 83 auf dem Rechner. Wohnort: Weikersheim, unweit von Tauberbischofsheim gelegen. Die Eltern waren offiziell als Hausmeisterehepaar im Studienkreis der berühmt-berüchtigten Bildungsstätte gemeldet, der Verbindungen in erzkonservative Kreise nachgesagt wurden. Danach Umzug der Familie nach Köln. Informationen über den dortigen Aufenthalt fehlten, seien aber bei den Kölner Kollegen bereits angefragt.
Die Rücksprache mit den Nachbarn, die sich nur wenig an das zurückgezogen lebende italienische Ehepaar und das stille Kind erinnern konnten, bestätigte jedoch die Annahme, dass Yasmina ins Jugendförderungsprogramm des Tauberbischofsheimer Fechtzentrums aufgenommen worden war. Diese Aussagen wurden durch Archivmaterial des Fechtzentrums gestützt, das sie mit diversen Siegen und Auszeichnungen als zukünftige Meisterin mit dem Florett feierte. Ihrem unerwartet überstürzten Austritt folgten der Umzug und der Abbruch aller Kontakte.
»Das heißt noch gar nichts«, sagte Heinlein.
»Was brauchst du denn noch?«, widersprach Pia. »Wenn das kein Hinweis auf eine potenzielle Mörderin ist.«
»Jetzt mach mal halblang. Alles, was wir haben, ist eine Karriere als Jugendfechterin. Ich sehe weder ein Motiv noch einen Zeugen oder gar diese Signora. Niemand weiß, wo sie steckt. Ich müsste sie erst mal befragen, wo sie sich zur Tatzeit aufgehalten hat.«
»Und wenn sie gar nicht mehr in der Stadt ist? Du hast doch gesagt, dass sie in Rom ist.«
Heinlein schaute sich verstohlen um. Die Tür zu Sabines Büro war zwar verschlossen, aber er wusste, dass sie mit beiden Ohren daran klebte. »Hör zu«, sagte er gepresst, »ich sagte, dass ich annehme, dass Kilian in Rom ist, auf der Suche nach dieser Signora. Genau weiß ich es nicht.«
»Dann gib eine Fahndung raus.«
»Und worauf soll sie sich begründen? ›Liebe Kollegen in nah und fern, bitte halten Sie diese Signora fest. Wir glauben, dass sie eine Mörderin ist. Beweise? Sorry. Aber wir sind sicher, dass wir welche finden werden, wenn wir die Dame erst mal wieder hier haben.‹ Nein, so geht das nicht. Ich brauche einen begründeten Verdacht, der auf einem Beweis fußt. Den habe ich aber nicht.«
»Mein Gott, Schorsch, jetzt spring halt mal über deinen Schatten und mach einmal etwas, das außerhalb der Dienstvorschrift liegt.«
»Ich bin gerade noch mit heiler Haut bei der Dienstaufsicht durchgerutscht. Das brauch ich kein zweites Mal. Über weitere Abenteuer können wir uns unterhalten, wenn sich der Staub gelegt hat.«
»Dann müssen wir nach Rom. Los, komm.«
»Pia, lass mich los. Ich kann nicht einfach so mal auf die Schnelle nach Rom fahren.«
»Wieso denn nicht?«
»Ich habe einen Job, eine Sekretärin, Frau und Kind, Schwiegereltern, und die Renovierung vom Haus ist auch noch nicht abbezahlt. Ich trage Verantwortung. Verstehst du? Man braucht mich hier.«
*
Als Heinlein die Tür zu seinem trauten Heim öffnete, war er zwar nicht ganz so erschöpft wie in den Tagen zuvor. Country Roads hatte er die Fahrt über auf den Lippen. Es war ein schönes Lied und es barg das tiefe Gefühl der Verbundenheit mit Heimat, Familie und unzerstörter Natur in sich, das ihm so wichtig war. Kilian, Yasmina und Pia hatte er aus seinem Bewusstsein verbannt. Morgen würde er sich darum kümmern, heute war erst mal er an der Reihe.
»Schatz, ich bin zu Hause!«, rief er in den Gang, um sein frühzeitiges Erscheinen anzukündigen.
Statt einer Antwort kam ihm ein Mischmasch seltsamer Geräusche entgegen. Aus der Küche tönte es wie in einem LSDTrip nach
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