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Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall

Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall

Titel: Die Zeit ist nahe: Kommissar Kilians dritter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Rausch
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Den Joystick locker in der Rechten, saß er kahl geschoren mit schwarzer Integralbrille vor dem Rechner und gewährte niemandem Gnade.
    Je mehr düstere Gestalten seinen Lauf kreuzten, desto blutgetränkter wurde sein Weg durch die Unwägbarkeiten einer Stadt bei Nacht.
    »Hallo, Tom, wie geht’s?«
    Heinlein setzte sich zu ihm an den Rechner.
    »Alles im grünen Bereich«, antwortete Tom, ohne den Blick von der nächsten Häuserecke zu nehmen. Sein Finger am Abzug war hellwach und reagierte auf jede noch so unbedeutende Erscheinung.
    Bum-Bum-Bum donnerte es aus den Lautsprechern. Eine Mutter mit Kind fiel in eine Öllache in einem schäbigen Hinterhof. Ihr Blut mischte sich mit dem ihres Kindes. Der Kinderwagen kippte zur Seite.
    »Das war aber eine von den Guten«, protestierte Heinlein.
    »Die hat um diese Uhrzeit draußen nichts verloren.«
    »Jetzt mach aber mal langsam.«
    »Glaub mir, Dad, das war ein gemeiner Hinterhalt von ›Doom‹. Die Frau gehört bestimmt zu ihm.«
    »Wer?«
    »›Doom‹, die gemeinste Bazille von Gotham City. Warte, ich zeig’s dir.«
    Tom bewegte die Computermaus auf den Kinderwagen und machte einen Doppelklick. Ein Fenster öffnete sich.
    »Siehst du? ›Hidden weapons‹. Die Mutter war ein getarnter Kurier von ›Doom‹.«
    Recht hatte er, und sein Energievorrat füllte sich um zwei Leben.
    »So ein Unsinn«, widersprach Heinlein. »Auf eine Mutter mit Kind würde ich niemals schießen. Zuerst würde ich sie überprüfen, ob überhaupt ein begründeter Verdacht besteht. Und selbst dann …«
    »Dad, das ist doch nur ein Spiel!«
    »Ein fragwürdiges Spiel, finde ich. Du schießt auf Menschen.«
    »Papa, die sind doch nicht real. Das ist reine Virtual Reality.«
    »Was ist das?«
    »Künstlich. Alles nur VR.«
    »Wenn du meinst.«
    Heinlein erhob sich und ließ seinen Sohn mit den fremden Mächten in dieser fremden Welt allein. Auf dem Gang, im Fadenkreuz seiner Familie, machte er Halt. Er war ein Außenseiter, der hoffnungslose Fall eines Ehekrüppels, ein Banause, der die Avantgarde nicht zu schätzen wusste, selbst wenn sie ihm mit der Violine um die Ohren geschlagen wurde, und ein alternder Cop, mit dem die Gangster Katz und Maus spielten.
    Er zog die Leiter von der Decke und begab sich auf den Dachboden zu seiner Eisenbahn. Jahrelang hatte er mit seinem Vater an dieser Strecke gearbeitet, die sie in die entlegensten Ecken dieser Welt gebracht hatte, auf leisen Sohlen, mit Uhu, Pappmache und Schere bewaffnet. Kein Hindernis konnte ihnen Einhalt gebieten, sei das Meer noch so tief, der Berg noch so hoch und der Schlagbaum unpassierbar einbetoniert. Das Taj Mahal war zum Greifen nahe. Die Schienen endeten irgendwo kurz vor dem Himalaja. In ein paar Stunden hätten sich er und seine Lok durch die unwirtliche Landschaft gekämpft.
    Er setzte sich, nahm Schere und Pappe zur Hand. Das würde eine Brücke werden, nein, ein genial konstruiertes, frei hängendes und Kontinente verbindendes Meisterwerk der abendländischen Architektur, das seinesgleichen suchte. Im Handumdrehen würde er aufsteigen zu Königen, zu unfassbaren Schätzen und zu unbekannten Ländern, die noch nie zuvor von einem weißen Mann betreten worden waren.
    Doch die Schere war stumpf.
    Heinlein legte sich auf den Rücken. Über ihm das Dachgebälk, konserviert hinter Spinnennetzen und dem schleichenden Fraß des Holzwurms. Kilian kam zurück. Wo würde er sich gerade herumtreiben, mit wem flirten, an welcher Theke sich einen Caipirinha bestellen? Er erinnerte sich. Caipirinha und Samba. Zwei Dinge, die er zuvor nicht gekannt hatte. Was war ihm noch alles fremd? Was hatte er sich bisher selbst alles vorenthalten?
    Er griff nach der Bierflasche. Doch statt ihr förderte er zwischen den Kartons etwas anderes zutage. Er hielt es hoch, drehte es nach allen Seiten, öffnete und schloss die Türen, selbst das Miniaturlenkrad ließ sich noch drehen.
    Heinlein schloss die Augen und drückte den kleinen knallroten Alfa Spider fest an seine Brust. Aus dem Dunkel heraus eröffnete sich vor seinem geistigen Auge die Autostrada, schnell vorbeihuschende Ortsschilder und Geschwindigkeitsbegrenzungen, die für ihn keine Bedeutung besaßen. Der Fahrtwind durchwühlte seine Haare, er rückte die Sonnenbrille zurecht und sah im Rückspiegel die Grenze, die er nun endlich hinter sich lassen würde. Er war unterwegs. Ziel: der Süden. Sein Auftrag: Wünsche wahr werden lassen.
    Die Glocken von Santa Maria in Trastevere weckten mich.

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