Die Zeit-Odyssee
Linien mit einem Mal
zurück, verließen ihre Toten und Verwundeten, um mit
den Linien hinter ihnen zu verschmelzen, und plötzlich war
nichts mehr da, nichts zwischen Abdikadir und der wildesten,
grausamsten Reiterei, die die Welt je gesehen hatte.
Verblüfft und damit beschäftigt, ihrer nervösen
Rösser Herr zu werden, zögerten die Mongolen eine
Sekunde lang; dann starrte ein furchterregender Mann, klein
gewachsen, aber breit wie ein Bär, Abdikadir in die Augen
und hob eine gedrungene Keule, von der bereits das Blut
triefte.
Doch da war schon Hauptmann Grove an Abdis Seite. »Feuer
frei!«
Abdikadir hob die Kalaschnikow und drückte den Abzug. Der
Kopf des Mongolen explodierte in einem Regen aus Blut und
Knochen, und der Metallhelm stieg kurios in die Luft. Das Pferd
ging durch, und der kopflose Körper glitt aus dem Sattel
mitten hinein in das andrängende Gewühl.
Rund um Abdikadir feuerten Briten in die Masse der Mongolen,
und das kurze, abgehackte Bellen der alten britischen
Martini-Henrys und Sniders begleitete das Rattern der
Kalaschnikows. Männer und Pferde stürzten tödlich
getroffen unter dem vernichtenden Kugelhagel zu Boden. Granaten
flogen durch die Luft, die meisten davon Blendgranaten, aber sie
reichten, um die Rösser und zumindest einige der Krieger in
Furcht und Schrecken zu versetzen. Doch eine explodierte unter
einem Pferd; das Tier schien zu zerplatzen, und der
aufbrüllende Reiter wurde davongeschleudert.
Eine Granate landete zu nahe bei Abdikadir, und die Druckwelle
wirkte wie ein Faustschlag in den Magen. Er fiel nach hinten, die
Ohren klangen ihm, und sein Mund füllte sich mit dem
säuerlichen, metallischen Geschmack von Blut und der
chemischen Würze des Zünders. Er fühlte sich
irgendwie orientierungslos, so als wäre er soeben durch eine
weitere Diskontinuität gestoßen worden. Aber wenn die
Druckwelle ihn zu Boden geworfen hatte, argumentierte ein
verborgener Winkel seines Hirns, dann gab es ein Loch in der
Linie vor ihm. Er hob die Maschinenpistole, feuerte ohne zu
zielen und rappelte sich hoch.
Der Befehl für den Vorstoß kam, und ununterbrochen
feuernd rückten die Briten vor.
Abdikadir bewegte sich zusammen mit ihnen voran, während
er ein neues Magazin in die Waffe schob. Es gab keinen freien Weg
durch das Gelände; die Erde war von Leichen und
Körperteilen übersät und glitschig von
Eingeweiden. Er musste sogar auf den Rücken eines
verwundeten Mannes steigen, der vor Schmerz aufschrie, aber es
gab keinen anderen Weg.
Es funktioniert!, dachte er anfangs. Links und rechts, so weit
er sehen konnte, und so sie nicht im Sattel umkamen, ließen
sich die Mongolen zurückfallen; ihre Waffen konnten es mit
jenen aus einer Ära, die sechshundert Jahre oder mehr nach
der ihren lag, einfach nicht aufnehmen.
Doch dann hörte Abdikadir eine hohe Stimme – eine Frauenstimme, und einige Mongolen ließen sich
von den Pferden gleiten. Sie rückten wahrhaftig in jene
Richtung vor, aus der das Gewehrfeuer kam, indem sie die Leichen
ihrer Kameraden und die Pferde als Deckung benutzten. Abdikadir
kannte die Taktik genau: mit einem raschen Blick nach Gefahr
Ausschau halten, vorwärts stürmen, in die nächste
Deckung rennen, wiederum Ausschau halten. Sie setzten Pfeil und
Bogen ein – die einzigen ihrer Waffen, die mit der
Reichweite der Feuerwaffen mithalten konnten – und
wechselten einander beim gegenseitigen Deckunggeben ab,
während sie stetig vordrangen. Und als auf ihre Pfeile
Reaktionen in Form von mazedonischem Gebrüll und wahren
Sturzbächen routinierter britischer Flüche zu
hören waren, wusste Abdikadir, dass etliche Pfeile ihr Ziel
erreichten.
Diese Mongolen waren darauf trainiert, dem Beschuss aus
Feuerwaffen standzuhalten, erkannte Abdi. Sable!, genau
wie befürchtet. Die Erkenntnis entmutigte ihn schlagartig.
Er schob das nächste Magazin ein und fuhr fort zu
feuern.
Aber die Mongolen drängten immer weiter heran. Abdikadir
und allen anderen Schützen waren eigene Schildträger
zugewiesen worden, doch diese wurden von den Mongolen einfach zur
Seite gestoßen. Einem Reiter gelang es, fast bis an Abdi
heranzukommen, und er musste den Kolben der Kalaschnikow als
Keule benutzen. Ein Glückstreffer direkt gegen die
Schläfe des Mannes ließ diesen schwanken und
zurücksinken, und noch ehe er sich wieder aufrichten konnte,
erschoss ihn Abdikadir und hielt Ausschau nach seinem
nächsten
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