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Die Zeit-Odyssee

Die Zeit-Odyssee

Titel: Die Zeit-Odyssee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke , Stephen Baxter
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in sich ein leidenschaftliches Bedürfnis, die
Geschichte zurechtzurücken. Diesmalwürde der
Islam von der mongolischen Katastrophe verschont bleiben, neu
geboren werden. Doch dieser elende Krieg musste zuvor gewonnen
werden – um jeden Preis.
    Es war tröstlich, fand er, in der ganzen Verwirrung, die
von der Diskontinuität geschaffen worden war, etwas zu tun
zu haben: ein Ziel von unzweideutigem Gewicht, das es zu
erreichen galt. Vielleicht aber entdeckte er nur wieder sein
eigenes mazedonisches Blut…
    Er fragte sich, was Casey wohl zu alldem sagen würde
– Casey, der Christ, geboren in Iowa im Jahre 2004 und nun
gefangen zwischen den Armeen der Mongolen und der Mazedonier in
einer Zeit, die kein Datum trug. »Ein guter christlicher
Soldat«, murmelte Abdikadir, »ist immer nur einen
Schritt vom Himmel entfernt.« Er lächelte in sich
hinein.
     
    Seit drei Tagen lag Kolja unter Dschingis Khans Jurte in
seinem Loch im Boden – drei Tage, blind, taub und unter
grauenhaften Qualen. Aber er lebte noch. Anhand der Vibrationen,
die die Füße auf den Brettern über ihm
verursachten, konnte er sogar spüren, wie die Zeit verging
– Schritte, die kamen und gingen wie Gezeiten.
    Hätten ihn die Mongolen durchsucht, wären sie gewiss
auf die wassergefüllte Plastiktüte unter seiner Jacke
gestoßen, deren Inhalt ihn so lange am Leben erhalten hatte
– und auf den einen anderen Gegenstand, um den sich dieses
ganze Hasardspiel drehte. Aber sie hatten ihn nicht durchsucht.
Ein Hasardspiel, allerdings, und es hatte sich gelohnt, zumindest
bis jetzt.
    Er wusste weit mehr über die Mongolen, als Sable je
erfahren konnte, denn er war mit der Erinnerung an sie groß
geworden – einer acht Jahrhunderte alten, aber immer noch
übermächtigen Erinnerung. Und Dschingis Khans
Gewohnheit, feindliche Prinzen unter seiner Jurte lebendig zu
begraben, war ihm durchaus bekannt gewesen. Also hatte Kolja alle
Informationen, derer er habhaft werden konnte, an Casey
weitergeleitet, obwohl er wusste, dass er früher oder
später dabei ertappt werden würde. Als es so weit war,
hatte er es darauf angelegt, über Sables Heimtücke die
Mongolen zu diesem »gnädigen« Zugeständnis
zu bringen, denn alles, was er sich noch wünschte, war ein
kleines bisschen Leben und dieses Dunkel hier – um das
Objekt, das er angefertigt hatte, in der Hand zu halten, nur
einen Meter von Dschingis Khan entfernt.
    An Bord der Sojus hatten sich leider keine Granaten befunden,
die ideal gewesen wären. Aber es gab intakte Sprengbolzen.
Und auch wenn sie ihn genau beobachtet hätten, wäre den
Mongolen nicht bewusst gewesen, was er da aus der Raumkapsel
hervorgeholt hatte. Sable hätte es natürlich erkannt,
aber in ihrer Arroganz hatte sie Kolja als belanglos eingestuft
und als unfähig, sich ihren eigenen Ambitionen in den Weg zu
stellen. Da er nunmehr ignoriert wurde, war es ihm ein Leichtes
gewesen, einen einfachen Auslöser zusammenzubasteln und
seine improvisierte Waffe zu verstecken.
    Er musste nur den richtigen Zeitpunkt abwarten; deshalb musste
er hier in Finsternis und von unerträglichen Schmerzen
gepeinigt aushalten. Drei Tage – es war, als
hätte er seinen eigenen Tod um drei Tage überlebt. Aber
wie sonderbar, dass sein Körper nach wie vor funktionierte,
dass er weiterhin Blase und Darm entleeren musste, als würde
der Körper glauben, die Geschichte hätte ein Nachspiel.
Doch es waren nur die Zuckungen eines frischen Leichnams, dachte
Kolja, einer Marionette, sinnlos, nichtssagend.
    Drei Tage. Aber die Russen waren ein geduldiges Volk. Sie
hatten eine Redensart: dass die ersten fünfhundert Jahre
immer die schlimmsten waren.
     
    Der Morgen graute. Die Mazedonier begannen sich zu
rühren, husteten, rieben sich die Augen, urinierten.
Abdikadir setzte sich auf. Das Rosa-Grau des Himmels war von
sonderbarer Schönheit – verstreute Sonnenstrahlen auf
Vulkanaschewolken, wie Kirschblüten auf Bimsstein.
    Aber er hatte nur kurze Momente der Beschaulichkeit nach dem
Erwachen.
    Das erste und das letzte Licht des Tages sind die
gefährlichsten Zeiten für einen Soldaten, wenn das Auge
sich anstrengen muss, um sich an die rasch wechselnde Helligkeit
anzupassen. Und in diesem Moment der größten
Verwundbarkeit schlugen die Mongolen zu.
    Sie hatten sich lautlos an die mazedonischen Stellungen
herangepirscht, und nun ertönten die großen Nakkara, ihre von Kamelen getragenen

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