Die Zeit-Odyssee
Ziel.
Von seiner erhöhten Position auf dem Ischtar-Tor aus
konnte Josh die ganze riesige Schlacht überblicken. In ihrem
blutigen Zentrum direkt vor dem Tor, dort wo die schwere
Kavallerie der Mongolen mit Alexanders »Gefährten zu
Fuß« zusammengeprallt war, wütete immer noch ein
verbissenes Schlachten unter Männern und Tieren. Und
überall schwebten die Augen wie gewichtslose Perlen
über den Köpfen der Kämpfer.
Die schwere Kavallerie war das wirksamste Instrument der
Mongolen, dazu bestimmt, die stärksten Kräfte des
Feindes auf einen Schlag zu vernichten. Man hatte sehr damit
gerechnet, dass ein plötzlicher Angriff mit Schusswaffen der
schweren Kavallerie ausreichend Schaden zufügen würde,
um ihre Stoßkraft zu schwächen. Doch aus welchem Grund
auch immer – die Mongolen waren nicht zurückgewichen
wie gehofft, und die eigenen Truppen steckten fest.
Das waren schlechte Nachrichten. In Jamrud hatten sich
schließlich nur dreihundert britische Soldaten befunden;
sie waren zahlenmäßig den Mongolen bei weitem nicht
gewachsen, und selbst für den Fall, dass jede Kugel ein
Mongolenleben auslöschte, würden die Truppen des
Dschingis Khan sie letzten Endes überrennen.
Und nun warfen die Mongolen noch mehr Berittene, die von den
Flanken her den Gegner einschließen sollten, in die
Schlacht. Auch das war zu erwarten gewesen, schließlich
handelte es sich um ein klassisches mongolisches Manöver,
das Tuluchma genannt wurde. Doch die brutale Raserei, mit
der die neuen Einheiten in die Flanken der Mazedonier donnerten,
raubte Josh den Atem.
Aber noch war Alexander nicht am Ende. Von den Stadtmauern
herab ertönten neue Trompetensignale. Mit lautem
metallischem Rattern öffneten sich die Tore, und die
mazedonische Kavallerie ritt hinaus auf das Schlachtfeld. Schon
vom ersten Moment an hatte sie ihre präzise Keilformation
eingenommen, und mit einem Blick konnte Josh erkennen, wie
weitaus geschulter in der Reitkunst Alexanders Soldaten waren,
verglichen mit den Mongolen. Und an der Spitze der
»Gefährten zu Pferde«, die zu Joshs rechter Hand
durch das Tor ritten, erkannte er Alexanders hellpurpurnen
Umhang, seinen mit weißen Federn geschmückten Helm und
das Pantherfell, das er über die Satteldecke geworfen hatte.
Wie immer führte er seine Männer an – zu Ruhm und
Ehre oder in den Tod.
Die Mazedonier, schnell, agil und äußerst
diszipliniert, führten einen Schwenk aus und schnitten in
die mongolische Flanke wie ein Skalpell. Die Mongolen versuchten
einen Rückzug, aber nun, da sie zwischen der standhaften
mazedonischen Infanterie und den »Gefährten zu
Pferde« eingezwängt waren, hatte sich ihre
Bewegungsfreiheit drastisch reduziert, und die Mazedonier
stießen mit ihren langen hölzernen Speeren in die
ungeschützten Mongolengesichter. Das war wiederum eine
klassische Taktik, von der Josh schon gelesen hatte – eine
Schlachtformation, perfektioniert von Alexander dem Großen,
jedoch ererbt von seinem Vater, wobei die Kavallerie zur Rechten
zum Todesstoß ausholt, und die zentrale Infanterie mit
hartnäckigem Druck nachstößt.
Josh war kein Verteidiger des Krieges, aber er sah die Art von
Hochgefühl in den Augen der Krieger beider Seiten, als sie
sich in den Kampf stürzten: die Erleichterung, dass endlich
der Moment gekommen war, in dem alle Hemmungen fallen gelassen
werden konnten – und eine gewisse freudige Erregung. Tief
in seinem Innern fühlte Josh sich wie elektrisiert, als er
verfolgte, wie dieses uralte, brillante Manöver vor seinen
Augen ablief – selbst dann noch, als sich die Männer
da unten einen blutigen Kampf lieferten und starben, jeder von
ihnen einzigartig in seinem Leben, das nun ausgelöscht
wurde. Das ist es, weshalb wir Menschen Kriege führen,
dachte er; das ist der Grund, warum wir dieses Spiel mit dem
höchsten Einsatz spielen: Nicht um Profit geht es, nicht um
Macht oder Territorien, sondern um diese intensive Lust. Kipling
hat Recht: Krieg macht Spaß. Das ist das dunkle
Geheimnis unserer Rasse.
Vielleicht war das auch der Grund, weshalb die Augen sich hier
befanden – um das einzigartige Spektakel zu genießen,
wenn die grausamsten Kreaturen des Universums im Staub ihr Leben
ließen. Josh verspürte Unmut, gemischt mit einem
gewissen trotzigen Stolz.
Mit Ausnahme einiger Reserven waren jetzt alle
Streitkräfte eingesetzt. Abgesehen von kleineren
Kavalleriescharmützeln am Rand des
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