Die Zeit-Odyssee
Schlachtfeldes
konzentrierte sich das Kampfgeschehen jetzt auf dieses
dichtgedrängte blutige Gemetzel im Zentrum, wo das
unbarmherzige Hauen und Stechen Mann gegen Mann ohne Unterlass
weiterging. Immer noch brannten die Feuernester, deren Rauch das
Geschehen umwehte und gelegentlich verhüllte, und immer noch
regneten die Pfeile von den Mauern Babylons herab.
Josh konnte nicht mehr erkennen, zu wessen Vorteil sich der
Schlachtverlauf entwickelte. Die Zeit für Taktiken war
vorbei, und die gegnerischen Heerführer – vielleicht
die größten aller Zeiten – konnten nicht mehr
tun als das Schwert, wie Alexander, selbst zu schwingen.
Bisesas Krankenstation war am Zusammenbrechen; anders konnte
man es nicht beschreiben.
Sie arbeitete allein, um einen Mazedonier zu retten, der
bewusstlos auf dem Tisch vor ihr lag, hingeschmissen wie eine
Rinderhälfte im Schlachthof. Der Junge war nicht älter
als siebzehn oder achtzehn und hatte einen Speerstich in den
Bauch abbekommen. Bisesa säuberte, nähte und verband
die Wunde, so gut sie konnte, während ihr die Finger vor
Müdigkeit zitterten. Dennoch wusste sie, dass letzten Endes
die Infektion – hervorgerufen durch den Dreck, der zusammen
mit dieser Speerspitze in den Körper eingedrungen war
– den Jungen umbringen würde.
Und weiter strömten rundum die verwundeten Leiber herein;
diejenigen, die vom Empfangsteam ausgesondert wurden,
transportierte man nicht mehr in das Haus, das Bisesa als
Leichenhalle bestimmt hatte, sondern sie wurden einfach auf den
Boden geworfen, wo sie sich immer höher türmten und ihr
dunkles Blut den babylonischen Staub schwärzte. Von
denjenigen, die zur Verarztung weitergeschickt wurden, war eine
Hand voll wieder ins Kampfgeschehen zurückgekehrt, nachdem
Bisesa sie zusammengeflickt hatte, aber mehr als die Hälfte
ihrer Patienten war noch auf dem Behandlungstisch gestorben.
Was hast du denn erwartet?, fragte sie sich. Du bist doch
keine Ärztin! Und dein einziger erfahrener Assistent ist ein
antiker Grieche, der Aristoteles persönlich die Hand
geschüttelt hat! Du hast keine Medikamente, und alles geht
dir aus – von sauberem Verbandmaterial bis zu abgekochtem
Wasser.
Aber sie wusste, einige Leben hatte sie heute gerettet.
Möglicherweise vergebens, denn die große Welle des
Mongolensturms konnte durchaus noch über die Mauern
hereinbrechen und sie alle vernichten; doch für den Moment
hatte sie nur den einen, einzigen Wunsch: Sie wollte nicht, dass
dieser Junge mit dem Bauchstich starb. Und so kramte sie im
schuldbewusst gehorteten Inhalt ihres Notfallkastens aus dem
einundzwanzigsten Jahrhundert, platzierte sich so, dass die
anderen nicht sehen konnten, was sie tat, und jagte dem Jungen
eine Streptomycinspritze in den Schenkel.
Dann erst rief sie nach den Trägern, um ihn wegbringen zu
lassen wie alle anderen. »Der Nächste!«
Kolja war überzeugt, dass der Expansionsdrang der
Mongolen ein pathologisches Phänomen darstellte. Es war eine
unheimliche Spirale positiven Feedbacks, geboren aus Dschingis
Khans unbestreitbarem militärischem Genie und am Leben
erhalten von leicht erzielten Eroberungen. Es war eine Plage aus
Wahnsinn und Destruktion, die sich über einen Großteil
der bekannten Welt verbreitet hatte.
Speziell die Russen hatten jeden Grund, die Erinnerung an
Dschingis Khan zu verabscheuen. Die Mongolen hatten zweimal
zugeschlagen und großartige, vom Warenhandel reich
gewordene Städte wie Nowgorod, Ryazan und Kiew in Schutt und
Asche gelegt. In diesen Momenten des Grauens war dem Land das
Herz aus dem Leib gerissen worden, und zwar für immer.
»Nicht noch mal«, flüsterte Kolja,
unfähig, seine eigenen Worte zu hören. »Nicht
noch mal.« Er wusste, Casey und die anderen würden der
mongolischen Bedrohung jeden nur möglichen Widerstand
entgegensetzen; vielleicht hatten sich die Mongolen im alten
Zeitablauf zu viele Feinde gemacht, und vielleicht standen sie
jetzt kurz davor, auf irgendeine abstrakte Weise die Quittung
dafür zu erhalten.
Selbstverständlich musste auch sein eigenes Spiel noch zu
Ende gespielt werden. War seine Waffe stark genug? Würde sie
überhaupt funktionieren…? Aber er wusste, auf seine
technischen Fähigkeiten konnte er sich verlassen.
Ob er sein Ziel damit erreichte, war eine andere Sache. Er
hatte Dschingis Khan beobachtet. Im Unterschied zu Alexander war
der Khan ein Feldherr, der Schlachten aus der Sicherheit
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