Die Zeit-Odyssee
Joshs Hand. »Wir sollten besser in
Stellung gehen.«
»Wo?« Eine Locke, die ihm in die Stirn fiel, hob
sich in der plötzlichen Brise.
»Verdammt, wenn ich das wüsste!«, sagte sie
leise und strich ihm liebevoll die Haare aus der Stirn. Aber der
Windhauch kam wieder und blies über Joshs Haare und Gesicht
– ein Luftzug, der aus keiner ersichtlichen Ursache in den
Raum drang.
»Es ist das Auge!«, rief Abdikadir. Kleine
Papierfetzen und lose Kabel flatterten um ihn herum auf.
»Es holt Atem! Bisesa, mach dich bereit!«
Aus der Brise war ein Wind geworden, der nun von allen Seiten
in den Raum wehte und so stark wurde, dass er Bisesa
voranstieß. Sie zog Josh mit sich und stolperte auf das
Auge zu, das so reglos wie immer in der Luft hing und nur Bisesas
verzerrtes Spiegelbild zeigte. Doch nun flogen Papierstücke
und Strohhalme hoch und blieben an seiner Oberfläche
hängen.
Casey schleuderte die Kopfhörer von sich.
»Verdammte Scheiße! Da war ein schriller Ton, ein
elektromagnetisches Pfeifen – das hat mir die Schaltung
durchgebrannt! Ich weiß nicht, mit wem sich dieses Ding
verständigen will, aber mit mir ganz sicher
nicht…!«
»Es ist so weit«, sagte Josh.
Ganz recht, dachte Bisesa. Irgendwo tief in ihrem Innern hatte
sie nicht daran geglaubt, doch nun geschah es. Sie spürte
ein Flattern im Bauch, und ihr Herz klopfte; plötzlich war
sie unendlich dankbar dafür, Joshs starke Hand in der ihren
zu spüren.
»Sieh rauf!«, sagte Abdikadir.
Zum ersten Mal, seit sie es entdeckt hatten, veränderte
sich das Auge.
Der reflektierende Glanz war immer noch vorhanden, aber nun
oszillierte er wie eine Quecksilberpfutze, und Wellen riffelten
über seine Oberfläche.
Und dann fiel die Außenhaut in sich zusammen wie ein
Ballon, aus dem die Luft entweicht.
Bisesa blickte in einen Trichter, dessen Wände silbrig
und golden schimmerten. Sie konnte immer noch Spiegelbilder von
sich und Josh Seite an Seite erkennen, aber die Reflexionen waren
zersplittert wie die Scherben eines zerbrochenen Spiegels. Der
Tunnel schien sich direkt vor ihrem Gesicht aufzutun, aber Bisesa
nahm an, sie würde in dieselbe Trichterform blicken, in
dieselben Lichtwände, die sich einem fernen Punkt
entgegenwanden, auch wenn sie sich im Raum umherbewegte oder sich
über oder unter dem Auge befände.
Dies war kein Trichter, kein einfaches dreidimensionales
Objekt, sondern ein Defekt in ihrer Realität!
Sie blickte über ihre Schulter zurück. Die Luft war
jetzt von Funken erfüllt, die alle auf das implodierte Auge
zurasten. Abdikadir war immer noch da, wenngleich zusehends
weiter entfernt, und er wirkte seltsam verwirrend: Er hielt sich
am Türrahmen fest, er stand auf dem Boden, er drehte sich
weg und drehte sich zurück – jedoch nicht in einer
Aufeinanderfolge, sondern alles zugleich, wie in zufälligen
Ausschnitten eines Films, die man übereinander legte.
»Allah sei mit euch!«, rief er. »Geht,
geht…!« Aber seine Stimme verlor sich im Wind, und
dann wurde der Lichtsturm zu einem Blizzard, und Bisesa konnte
ihn nicht mehr sehen.
Der Wind riss an ihr und blies sie fast um. Sie versuchte,
analytisch zu bleiben. Sie versuchte, ihre Atemzüge zu
zählen. Doch ihre Gedanken schienen zu zerfallen – die
Sätze, die sie im Geist formte, zerbrachen zu Wörtern,
zu Silben, zu Buchstaben und mischten sich wahllos zu
Unsinnigkeiten. Es war die Diskontinuität, dachte Bisesa;
sie hatte es bei einem ganzen Planeten geschafft, ihn in
völlig voneinander isolierte Teile zu zerlegen, und nun war
sie über diesen Tempelraum hereingebrochen, hatte Abdikadir
in Stücke geschnitten und jetzt drängte sie sich in
ihren Kopf, denn letzten Endes war auch ihr Bewusstsein in Raum
und Zeit eingebettet…
Sie starrte in das Auge; das Licht strömte seinem Zentrum
zu. Und in diesen Momenten veränderte sich das Auge erneut.
Der Trichter öffnete sich zu einem geradwandigen Schacht,
der sich über jede Perspektive hinwegsetzte, denn seine
Wände verjüngten sich mit der Entfernung nicht, sondern
blieben ganz augenscheinlich gleich.
Das war ihr letzter Gedanke, bevor das Licht über sie
hinwegschwappte und sie so vollkommen erfüllte, dass selbst
das Gefühl eigener Körperlichkeit verschwand. Der Raum
war inexistent, die Zeit aufgehoben, und Bisesa wurde zu einem
Staubkorn, zur blanken, dumpfen, geistlosen Seele eines Tieres.
Doch immerzu blieb ihr bewusst, dass Joshs warme
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