Die Zeit-Odyssee
Musa war ein hartgesottener
Veteran von fünfzig Jahren, der bereits selbst als
Kommandant auf der Raumstation gedient hatte und sogar schon auf
dem Mond gewesen war, obwohl er dort nicht das Kommando über
die multinationale Basis innegehabt hatte. Sie wussten alle drei,
dass sein Rüffel von allen Kameraden auf der Raumstation
mitgehört wurde und dazu, was viel entscheidender war, von
der Bodenkontrolle.
Durch die zusammengebissenen Zähne hindurch knirschte
Sable: »Dafür bezahlst du noch, Musa!«
Musa grinste nur und wandte sich ab.
In der Landekapsel gab es kein ungenutztes Plätzchen.
Außer der Hauptsteuerung und den Kontrollinstrumenten war
darin auch alles untergebracht, was nach der Rückkehr zur
Erde eventuell benötigt wurde: Fallschirme, Schwimmwesten,
Überlebensausrüstung, Notrationen. Die Wände waren
mit elastischen Halterungen und Streifen aus Klettmaterial
ausgekleidet und übersät von Behältern mit Dingen,
die von der Raumstation zur Erde transportiert werden sollten,
darunter Blut- und Stuhlproben als Teil des medizinischen
Programms und Schnipsel der Erbsenpflanzen und Obstbäume,
die zu ziehen Kolja selbst versucht hatte. All das steckte an den
Innenwänden der Landekapsel und verringerte den Platz
für die Menschen darin noch weiter.
Doch mitten in dem Durcheinander gab es ein Fenster zu Koljas
Linken, das ihm einen Blick in die Schwärze des Raums
erlaubte, auf ein himmelblaues Stück Erde und auf die
Streben und die von Mikrometeoriteneinschlägen gezeichneten
Außenwände der Raumstation, die im harschen Licht der
Sonne gleißte. Die nach wie vor angedockte Sojus wurde von
der gewichtigen Rotation der weitaus größeren
Raumstation mitgezogen, und so glitten nun Schatten in Koljas
Gesichtsfeld.
Musa arbeitete sich zusammen mit den anderen beiden durch die
Checkliste mit allem, was vor dem Ablegen von der Raumstation zu
erledigen war. Dazu sprach er mit der Bodencrew auf der Erde
sowie der Besatzung der Station. Kolja hatte fast nichts zu tun;
seine Hauptaufgabe bestand im Drucktest seines Raumanzugs. Die
Landekapsel war ein russisches Fabrikat, und im Gegensatz zur
ganz auf den Piloten zugeschnittenen Tradition der Amerikaner
waren hier die meisten Systeme automatisiert. Sable fuhr fort,
abfällig zu knurren, weil sie sich nach den
Bedienungselementen der verschiedenen Instrumente strecken
musste, die überall in der Kapsel bis in die letzten Winkel
angebracht waren. Einige davon waren so schwer zu erreichen, dass
es einfacher war, mit einem Holzstock hinzulangen – diese
Erfahrung hatten schon die Veteranen unter den Kosmonauten
gemacht. Doch Kolja hegte einen merkwürdig trotzigen Stolz
auf das Raumgefährt und seine simple
Zweckmäßigkeit ohne jeden Schnickschnack.
Die Sojus sah aus wie ein grüner Pfefferstreuer mit
zarten, solarzellenbestückten Flügeln, die in den
Seiten seines walzenartigen Körpers steckten. Aus den
Fenstern der Raumstation hatte die Sojus im strahlend hellen
Sonnenschein des Weltraumes ausgesehen wie ein plumpes Insekt
– und verglichen mit den neuen amerikanischen
Raumfahrzeugen war sie tatsächlich ein schwerfälliger
Vogel. Aber sie war ein ehrwürdiges, altes Gerät; ihr
Geburtsdatum fiel in die Zeit des Kalten Krieges und des
Apollo-Raumfahrtprogramms, und ihre ursprüngliche Bestimmung
waren Reisen zum Mond gewesen. Beachtlicherweise flogen
Sojus-Kapseln bereits doppelt so lange, wie Kolja auf dieser Welt
war. Jetzt, im Jahr 2037, war der Mensch natürlich auf den
Mond zurückgekehrt, und diesmal waren auch Russen unter
ihnen! Aber bei so exotischen Reisen gab es keinen Platz mehr
für die Sojus; für diese verlässlichen alten
Arbeitspferde gab es nur noch den Trott zu und von der bereits
arg mitgenommenen ISS, deren wissenschaftliche Bedeutung schon
lange durch die Lunarprojekte überflüssig geworden war
und die seit den Marsmissionen ihre letzte noch vorhandene
Faszination verloren hatte – die jedoch dank politischem
Stolz und staatlicher Schwerfälligkeit trotzdem im Orbit
blieb.
Jetzt war für die Sojus der Moment gekommen, sich von der
Raumstation zu lösen. Kolja vernahm ein sanftes Rumpeln und
Knacken, spürte einen kaum wahrnehmbaren Ruck, und sein Herz
erfüllte sich mit leiser Wehmut. Doch als unabhängiges
Raumfahrzeug verfügte die Sojus über ihre eigene
Funkkennung; heute lautete dies »Stereo«, und Kolja
empfand es als tröstlich, Musas geduldiger
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