Die Zeit-Verschwoerung 3 Navigator - Roman
trug ihre Kerze in einer Hand, der andere Arm hing schlaff herunter. Die Schulter schien ausgekugelt zu sein; sie musste selbst jetzt, Wochen nach dem Verhör, noch immer qualvolle Schmerzen leiden.
»Agnes!«, rief er unwillkürlich.
Sie schaute sich mit trübem Blick um. Ihre Augen wirkten unkoordiniert.
Er wusste nicht, was er sagen sollte. »Es tut mir leid. Ich werde für dich beten. Ich kann dir nicht helfen …«
»Aber ich.«
Die Stimme an seinem Ohr erschreckte ihn. Es war Abdul Ibn Ibrahim, und er grinste. Er hielt ein Bündel Dokumente in der Hand.
»Abdul? Was macht Ihr hier?«
»Was so ein hinterlistiger, intriganter, verschwörerischer Bursche wie ich eben so macht.«
»Ich verstehe nicht.«
»Die Inquisition«, sagte Abdul, »ist die Logik unserer Zeit – eurer Zeit, dieser Ära der Christenheit. Die Reconquista und all eure Kreuzzüge haben das Christentum – einst eine Religion der Liebe – militarisiert. Ängstlich und unwissend, erschrocken über den Vormarsch der Ungläubigen, aufgeputscht von heiligen Dummköpfen und gierigen Monarchen, verfallt ihr bereitwillig dem Bann dieser pervertierten Prälaten. Nun, gegen die Schwächen christlicher Seelen kann ich nichts tun. Aber vielleicht kann ich eine hilflose Frau retten. Kommt mit.« Und er setzte sich in Bewegung und trat kühn auf Ferron zu.
Dem verwirrten Geoffrey blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.
Abdul blieb direkt vor Ferron stehen und zwang damit die ganze Prozession, haltzumachen. Eine größere
Öffentlichkeit war kaum vorstellbar; die Inquisitoren, die Brüder, die Menge, selbst die Verurteilten schauten zu.
Ferron starrte Abdul wütend an und fragte ihn, weshalb er hier sei.
»Es geht um eine äußerst besorgniserregende Angelegenheit«, sagte Abdul und klopfte auf sein Dokumentenbündel. »Ich muss sie mit Euch erörtern.«
»Was, hier? Jetzt ?«
»Wir haben keine Zeit zu verlieren. Bitte, Bruder. Es geht wahrhaftig um Leben und Tod.«
»Um wessen Leben? Wessen Tod?«
»Euren«, sagte Abdul.
Ferron blickte erstaunt drein. Dann ließ er sich von Abdul beiseiteziehen, gab der Prozession jedoch ein Zeichen, sich wieder in Bewegung zu setzen. Als die Brüder die Verurteilten vor den Pfählen niederknien ließen, fauchte er: »Mach schnell, Mudéjar.«
Abdul deutete auf seine Papiere. »Ein Zeuge hat sich gemeldet. Um gegen Euch auszusagen, Bruder. Zur Unterstützung hat er auch Zeugnisse anderer beigebracht.«
Ferron erstarrte. »Und wessen beschuldigt er mich?«
Als Antwort streckte Abdul die Hand aus. Sie enthielt ein rundes Stück Brot, eine Hostie. »Das wurde in Euren Amtsräumen gefunden.«
Und Geoffrey verstand sofort.
Im Zentrum der Verbrechen, deren man die angeblich vom Christentum zum Judaismus übergetretenen Conversos routinemäßig beschuldigte, stand der
Diebstahl geweihter Hostien. Das war ganz leicht; wenn man solch eine Oblate von einem Priester bekam, konnte man sie einfach unter die Zunge schieben und dort behalten, ohne sie zu essen. Aber nachdem sie in der Heiligen Messe geweiht worden war, hatte sich ihre Substanz in den Leib Christi verwandelt, und so enthielt die Hostie einen mächtigen Zauber. Vor einigen Jahren war beispielsweise das Gerücht umgegangen, es gäbe eine Verschwörung, die Wasserversorgung Sevillas mit Hostien und dem zu Brei gemahlenen Herzen eines Christenkindes zu versetzen, ein blasphemisches Gift, das Christen wahnsinnig machen würde.
In Ferrons Augen stand Furcht; es war allgemein bekannt, dass er selbst Converso-Blut in den Adern hatte, und dies war eine wortlose Anklage, mit der er eines sehr schweren Verbrechens bezichtigt wurde. »Wer hat dir das gegeben?«
»Nun, Ihr seid nicht berechtigt, das zu erfahren«, sagte Abdul. »Nach den Regeln Eurer Inquisition dürfte ich Euch dieses Beweismittel streng genommen gar nicht zeigen, denn Ihr habt nicht das Recht, es zu sehen. Und natürlich gilt man als schuldig, sobald eine Beschuldigung erhoben wird. Habe ich das richtig verstanden?«
»Es ist eine Lüge. Eine böse, vom Teufel ausgebrütete, gemeine Lüge.«
»Freut mich, das zu hören«, sagte Abdul herzlich. »Dann werden die Prozeduren der Inquisition sicherlich ohne Weiteres zu diesem Ergebnis gelangen. Aber
vielleicht wäre es besser, allen die Mühe zu ersparen, Euch der peinlichen Befragung zu unterziehen.«
»Was willst du, Mudéjar?«
»Agnes Wooler.«
Ferron starrte erst ihn und dann Geoffrey an. »Ich hätte dieses Mädchen auf der
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