Die Zeitbestie
bedeckt von den sauber getrimmten Bärten.
»Aber Mellor, es ist nun mal meine weitschweifige Redekunst, die meinen Beutel mit Groschen und Pennies füllt und deinen Mund mit Fasanenpastete.«
Mellor nahm den Stock aus dem Mund. »Nein; vielmehr wage ich zu behaupten, dass du dies mit Jonglieren und Herumhopsen zuwege bringst sowie deinen athletischen Dienstleistungen sowohl für Lord als auch Lady.«
Berthold machte ein finsteres Gesicht und wandte sich wieder dem Mädchen zu. »Ihr habt das Antlitz eines Engels, meine Lady. Sagt mir: Von wo kommt Ihr, und wohin strebt Ihr?«
Der Zuschauerin fiel jetzt auf, dass Berthold mit beträchtlicher Verwirrung Pollys Kleidung musterte und sein Blick schließlich auf den Armeestiefeln ruhen blieb. Diese seltsame Kleidung musste es sein, was ihn zu der ehrenvollen Anrede ›meine Lady‹ bewegt hatte, war doch in diesem Zeitalter eine nicht von den Blattern gezeichnete Haut das Vorrecht von Milchmädchen, die durch eine frühere Infektion mit Kuhpocken auf natürliche Weise immunisiert waren.
»Ich bin eine Reisende aus … dem Osten«, sagte das Mädchen.
»Ja«, sagte Berthold, »es heißt, dass die Kleidung der Menschen dort höchst seltsam ist und die Frauen Hosen tragen. Äußerst interessant!«
Ah, die Fähigkeit des Menschen zur Selbsttäuschung, dachte die Zuschauerin.
Dem Mädchen fiel nun etwas ein, was sie hinzusetzen konnte: »Ich bin auch eine hungrige Reisende.«
Berthold wandte sich an Mellor. »Wie weit ist es noch?«
»Noch neuneinhalb Kilometer nach meiner Rechnung, aber wir wurden angewiesen, nicht vor morgen früh anzukommen. Berthold, was führst du im Schilde?«
»Ich überlege mir gerade, dass die von Adel das Ungewöhnliche in höchstem Maße schätzen und niemals dem Anblick eines hübschen Gesichtes abgeneigt sind.« Berthold wandte sich Polly zu. »Steigt zu uns ein und begleitet uns ein kleines Stück. Wir schlagen bald unser Lager auf, und ich bin sicher, dass Mellor eine Pastete wird erübrigen können. Morgen speisen wir dann im Haus eines Königs wie die Fürsten und verlassen es mit so viel, wie wir nur zu tragen vermögen.«
Die Zuschauerin fragte sich, ob das Mädchen überhaupt eine Vorstellung hatte, in welchem Zeitalter sie sich aufhielt und wie viel Glück sie gehabt hatte, dass sie nicht schon mit durchschnittener Kehle hinter irgendeinem Baum lag.
Mellor schnaubte und spuckte dann einen Schleimklumpen neben den Wagen, aber er rutschte zur Seite, damit das Mädchen neben ihm Platz fand. Sobald auch Berthold neben ihr saß und sie an Mellor drückte, empfand die Zuschauerin leichtes Mitgefühl für sie sowie eine nicht unbeträchtliche Erheiterung über ihre Miene. Nach Pollys Kleidung zu urteilen, stammte sie aus einer Zeit, in der die Menschen nicht so unbekümmert waren, was Körpergeruch anging oder die Dinge, die in ihren Bärten hausten.
»Dann los, Aragon«, sagte Berthold, als er die Bremse löste und mit den Zügeln aufs Hinterteil des Pferdes klatschte. Das Tier warf ihm einen Blick zu, stieß ein Schnauben aus, das von dem Mellors nicht zu unterscheiden war, und trottete langsam weiter den Weg entlang. Nachdem sie sich eine Zeit lang Bertholds aufeinander folgende ›Drei-Zwiebel-Fürze‹ angehört hatte, während er endlos über seine Abenteuer als reisender Unterhaltungskünstler palaverte, sprang die Zuschauerin in der Zeit ein Stück vor.
Der Spätnachmittag ging unerbittlich in den Abend über, und noch vor Sonnenuntergang lenkte Berthold den Wagen auf eine Lichtung zu Füßen einer mächtigen Eiche. Während Mellor das Pferd aus dem Zuggeschirr befreite, sammelten das Mädchen und Berthold Zweige rings um den Baum. Als sich Berthold anschließend mit einer Zunderbüchse abmühte, holte das Mädchen ein Propangas-Feuerzeug hervor, dachte kurz nach und steckte es dann hastig wieder weg.
Sehr klug, flüsterte die Zuschauerin in ihrem gläsernen Reich. Die Folgen für das Mädchen hätten darin bestehen können, mehr Flammen ausgesetzt zu werden, als wirklich bekömmlich waren.
Bald jedoch brannte ein lustiges Feuer, und daneben war genug Holz aufgestapelt, um es geraume Zeit in Gang zu halten. Erst jetzt im schwindenden Tageslicht holte Mellor einen Sack Lebensmittel von der Rückseite des Wagens. Das Brot wirkte fade, und die harten Pasteten schienen außer Fleisch auch Fett und Sülze zu enthalten sowie das eine oder andere Knochenstück und unidentifizierbare Organ in einem Netz aus gummiartigen
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