Die Zeitbestie
Tack den Lastesel spielen, obwohl er vermutete, dass der Reisende ihn nicht so sehr als Tier einstufte, wie dies Coptic und Meelan taten. Am Ufer des Sees faltete sich das Mantisal wieder in die Existenz hinein, irgendeiner unhörbaren Anweisung Folge leistend. Sie stiegen an Bord; Coptic übernahm aufs Neue die Lenkung des Biokonstrukts, und sofort stürzten sie in ein farbloses Nichts.
Als sie den heißen und lärmenden Festsaal betrat, taumelte Polly unter der Woge aus Menschengestank, die über ihr zusammenschlug. Beim Umsehen entschied sie rasch, dass sie noch nie so viel schlechte Haut auf einem Haufen gesehen hatte. Das war ein Punkt, in dem die ganzen historischen Dramen und Interaktiven nie präzise gewesen waren.
»Gott, sind die hässlich!«
Hatten die Blattern, sie alle. In dieser Epoche gibt es keine Impfungen. Wen du hier siehst, das sind die wenigen Menschen, die lange genug überlebt haben, um erwachsen zu werden. Da haben wir wohl auch den Grund, warum Berthold dich für eine solche Bereicherung hält – du bist eine seltene, nicht gezeichnete Schönheit. Aber andererseits kennt Berthold dich auch nicht so gut wie ich.
»Holt den Hofnarren!«, brüllte der König.
»Fangen wir lieber an«, flüsterte Berthold, und die Glöckchen an seiner Gauklermütze klimperten, als er sich zu Polly umdrehte. Rad schlagend bewegte er sich auf die Freifläche zwischen den Tischen und kam nach einem Purzelbaum in aufrechter Haltung an. Der König warf ein Hühnerbein, das von Bertholds Gesicht abprallte. Ein tosender Tumult folgte, als weitere Speisen aus allen Richtungen auf Berthold einprasselten. Er wich ihnen gewandt aus und hob schließlich die Hände.
»Genug! Genug, sage ich, werte Herrschaften! Möchtet Ihr mich in Eurer Großzügigkeit begraben?«
In allgemeiner Heiterkeit endete der Regen aus Speisen. Berthold trat an eine Tafel und nahm dort einen Kelch, einen halben Laib Brot und ein Hühnerbein zur Hand.
»Gute Zuschauer heute Abend«, sagte Mellor hinter Polly. Sie drehte sich um und starrte ihn an und fragte sich, ob er völlig verrückt war. Auf einmal empfand sie das übermächtige Bedürfnis nach einer Zigarette – irgendwoanders.
»Gestattet mir nun, meine schöne Assistentin vorzustellen: die fernöstliche Prinzessin Lady Poliasta!«
Polly trat vor, umgeben von Pfiffen und Rufen wie »Hol deine Möpse raus!« – und nicht alle stammten von Männern. Bertholds vorangegangenen Anweisungen folgend, verneigte sie sich kunstvoll vor jeder Tafel, und mit einer Hand streckte sie dabei einen Sack mit den diversen Gegenständen zur Seite aus, die Berthold für seine Nummer brauchte und in dem sie alle Münzen zu verstauen hatte, die auf den Boden regneten.
»Ich möchte mit einer schlichten Demonstration der Jonglierkunst eröffnen!«
Berthold versetzte die drei Objekte, die er schon zur Hand hatte, in Bewegung. Seine Kunstfertigkeit wurde deutlich, und der Tumult in der Halle legte sich sogar ein wenig.
»Aber solche Geschicklichkeit ist nicht leicht erworben. Ich musste in die fernen Reiche des Ostens reisen, wo ich meine liebliche Prinzessin hier fand, und dort erwarb ich diese Kunst unter meinem zauberkundigen Meister, dem Großen Profundo!«
Damit trat er auf die herumliegenden Überreste eines Fasanen und landete auf dem Hintern – das Hühnerbein prallte von seinem Kopf ab und das Brot kullerte davon, wohingegen der Kelch sauber in seiner Hand landete. Er gab vor, daraus zu trinken.
»Mein Meister Profundo sagte immer: Achte auf sicheren Stand!« Diese Bemerkung ging fast in heulendem Gelächter unter. Ein paar Münzen klimperten auf den Boden, und wie angewiesen, machte sich Polly daran, sie einzusammeln. Und so nahm alles seinen Gang. Den Zuschauern gefiel Bertholds obszöne Gauklernummer mit den bemalten Holzphalli besonders gut, nicht zuletzt die Stelle, wo er einen davon mit dem Mund auffing. Die Messernummer kürzte er ab, als die Zuschauer aufhörten zu lachen und ihn nun wachsam musterten. Die Vorstellung wurde beschlossen durch eine Jongliernummer mit sieben sehr verschiedenen Objekten, einschließlich eines Hosenbeutels, der irgendwie in seinem Gesicht landete, ehe die übrigen Requisiten auf seinen Kopf prasselten. Schließlich wurden Berthold und Polly vor den König gerufen.
Heinrich VIII. hatte rote Backen und war offenkundig zu besoffen, um richtig sehen oder reden zu können, also beugte sich Thomas Cromwell dicht an ihn heran und übermittelte seine
Weitere Kostenlose Bücher