Die Zeitbestie
dickem Schilf ein Bett und plumpste dankbar darauf. So kalt ihr auch war, sie schlief sofort ein. Die Nacht verging scheinbar in einem Augenblick, und als Polly wach wurde, geschah dies zum Morgenchor der Wasservögel und Frösche und dem drohenden Geschrei eines Mannes. Sie richtete sich auf, und er entdeckte sie sofort und fluchte und watete auf sie zu, so schnell er konnte. Es schien unzweifelhaft, was er mit seinem gezackten Speer zu tun gedachte. Polly drehte sich um, und das Netz in ihr reagierte auf den leisesten Anstoß. Allerdings musste sie mit dem Luftmangel rechnen.
Probiere es mit Hyperventilation.
»Was?«
Atme schnell und tief – mehr als nötig –, bis dir schwindelig wird.
Polly tat genau das. Bald spürte sie ein Summen in den Gliedern, und Schwindel machte sich bemerkbar. Als sie über die fernsten noch erinnerten Ahnen des schreienden Mannes hinaustrat, wurde der Sumpf dünn und löste sich auf wie Nebel, um eine Wirklichkeit aus grenzenlosem Grau über einem schwarzen Meer freizulegen. Eine entsetzliche Kälte bemächtigte sich Pollys, und es schien, als wollte der Druck dieser Kälte noch den letzten Atemzug aus ihr herausdrücken. Sie stürzte jetzt, raste durch diese graue Leere – und die Empfindung von Schnelligkeit war diesmal deutlicher als zuvor. Kurz sah sie eine silberne Linie an einem unmöglichen Horizont aufleuchten. Sicherlich war die Verschiebung bald vorüber. Aber als die Luft zunehmend aus den Lungen sickerte, geriet Polly langsam in Panik – die Schuppe würde sie erneut bis an ihre Grenzen zerren; Polly würde die Luft ausgehen. Ihr verzweifelter Wunsch, dem Einhalt zu gebieten, schien alles ringsherum zu verzerren, in die Form glasartiger Ebenen zu gießen, riesiger gekrümmter Flächen und Linien aus Licht. Was sie brauchte, das fand sie dort unten, und sie schwamm darauf zu. Nach Luft schnappend, aber grenzenlos erleichtert, stolperte sie über frostharten Boden in die volle Wucht eines Schneesturms hinein.
Dann knurrte etwas hinter ihr.
›Stützpfeiler drei‹ ähnelte von der Form her einem riesigen, gekrümmten Daumen. Er überragte eine Ecke des dreieckigen Eingangs, der den Grund dieser gewaltigen Halle bildete. Tack hegte nicht den Wunsch, noch einmal in den Tunnel hinabzublicken, da ein Effekt der Perspektive scheinbar versuchte, ihm die Augen aus dem Schädel zu ziehen. In der Ferne sah er einen ähnlichen Stützpfeiler sich über jede der beiden übrigen Ecken neigen, und es war wirklich eine Ferne – in dem Nebel, der die Halle ausfüllte, standen die Pfeiler in Abständen von jeweils mindestens einem Kilometer. Tack wich vom Rand der Plattform zurück, die seitlich am Stützpfeiler montiert war und dem Techniker und diversen seiner Mitarbeiter gerade als Aussichtsposten diente, und wandte sich an Saphothere.
»Er hat mir von der Verschiebung in die Vergangenheit erzählt, aber was hatten alle diese Worte über räumliche Elastizität und unnötige Energieverschwendung zu bedeuten?«
Saphothere sah ihn kurz an. »Zurzeit ist der Tunnel intern ein Lichtjahr lang, und noch steht die Entscheidung aus, ob wir diese physikalische Länge beibehalten oder ausdehnen.«
»Aber falls sie hundert Millionen Jahre weit in die Vergangenheit gehen, dann muss der Tunnel doch sicherlich gedehnt werden?«
»Distanz«, antwortete Saphothere knapp, »ist, bezogen auf Zeitreisen durch den Interraum, nur eine Funktion der Energie, die man aufwenden muss. Je kürzer die tatsächliche Tunnellänge, desto mehr Energie wird benötigt, um ihn aufrecht zu erhalten. Falls man genug Energie verfügbar hätte, könnte man eine bloße Türöffnung direkt ins Präkambrium öffnen, obwohl man dazu wahrscheinlich die Sonne leer zapfen müsste. Die Einspeisung von null Energie bedeutete, einen solchen Tunnel bis in die Unendlichkeit zu dehnen und ihn bis in die Nichtexistenz abzuschwächen. Es ist im Grunde ganz einfach.«
Tack schnaubte und richtete die Aufmerksamkeit wieder auf den Techniker. Er und seine Mitarbeiter hatten inzwischen ihre Diskussion beendet und gesellten sich wieder zu ihnen beiden.
»Die Entscheidung ist gefallen«, gab der Techniker bekannt. »Schicke dein Mantisal hindurch und informiere Maxell, dass wir den Tunnel bei einem Lichtjahr belassen. Ich habe das Gefühl, dass eine Dehnung zum jetzigen Zeitpunkt verfrüht wäre und wir damit bis zur Verschiebung in die Trias warten sollten.«
»Ja, Techniker«, antwortete Saphothere mit einer kurzen
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