Die Zeitdetektive 03 - Das Grab des Dschingis Khan
Weg des großen Khans zu verfolgen.
Der Schamane ritt stets in der Nähe des Leichenwagens. Seine Kommandos zischten über den Tross wie Peitschenschläge. Einen oder zwei Kilometer bewegte sich der Zug am Fluss entlang. Der Huang-ho hatte sich noch nicht beruhigt. Er schäumte genauso wild wie am Vortag. Nirgendwo gab es eine Furt, wo der Tross ohne Gefahr den Fluss überqueren konnte.
Es begann wieder zu regnen. Zuerst waren es feine Bindfäden, doch schnell wurde daraus erneut eine wahre Sintflut. Der Zug blieb erneut im Schlamm stecken. Es gab kein Vor und kein Zurück.
„Was wird Qutula jetzt anordnen?“, überlegte Kim laut. Kija hatte sich wieder in ihrer Jacke versteckt. Nur ihre Nase, die großen grünen Augen und die spitzen Ohren waren zu sehen. Die Freunde sahen, dass Qutula den Leichenwagen erklommen hatte und sich alle um ihn versammelten.
„Scheint, als wolle der Schamane etwas verkünden. Wir müssen näher ran“, sagte Leon und wischte sich über die Stirn. Schon pirschte er auf allen vieren auf den Tross zu. Seufzend folgten ihm die anderen.
Kija schlüpfte aus Kims Jacke, holte Leon mühelos ein und setzte sich an die Spitze des Erkundungstrupps. Ihr Schwanz stand kerzengerade nach oben und glich einer Spülbürste. Die Katze führte die Freunde zu einem Felsen, der ganz in der Nähe des Leichenwagens lag und ihnen guten Schutz bot. Von dort konnten sie alles hören und sehen, was sich am Leichenwagen abspielte.
„… und ich sage euch, es ist ein Zeichen“, hörten sie Qutula rufen. „Die Götter haben uns ein Zeichen gegeben! Nun ist es an uns, dieses Zeichen richtig zu deuten, allmächtiger Köke Tngri!“ Er machte eine Pause und sah düster auf die Menge herab, die ihn umringte.
„Was sollen wir tun?“, rief jemand. „Du bist es, der mit den Göttern redet, Qutula!“
Der Schamane richtete seinen Blick auf einen unbestimmten Punkt am Horizont. Sein Gesicht wirkte schmal und hohlwangig. Er sah aus, als läge eine unendlich schwere Last auf seinen Schultern. Aber in seinen Augen brannte ein Feuer. Er schwieg.
„Sag es uns, Qutula!“, rief einer der Diener. „Oder ist es der Geist des Khans selbst, der uns ein Zeichen gibt? Hat der Khan den großen Regen geschickt, damit wir nicht mehr weiterkommen?“
„Ja“, stimmte ihm ein Soldat zu. „Will uns der Khan sagen, dass er nicht mehr weitermag? Will er vielleicht an Ort und Stelle bestattet werden?“
Mit einer ärgerlichen Handbewegung brachte der Schamane die Männer zum Schweigen. „Ruhe!“, befahl er. „Ich werde in die Hügel gehen und mit den Göttern sprechen. Dann werde ich euch mitteilen, was sie von uns wollen. Lasst mich jetzt allein.“
Die Menge wich ehrfürchtig zurück. Qutula sprang vom Wagen. Jemand brachte ihm seine Trommel. Dann lief der Schamane los – und zwar genau auf die Freunde zu. Sie machten sich hinter dem Felsen ganz klein und hielten die Luft an. Gebete murmelnd lief Qutula an ihnen vorbei, ohne sie zu bemerken.
Die Freunde sahen sich an.
„Möchte mal wissen, was der mit den Göttern besprechen will“, sagte Julian misstrauisch. „Das ist bestimmt wieder nur einer seiner Tricks.“
„Oh nein“, widersprach Tscha. „Qutula kann mit den Göttern sprechen. Das hat er schon oft bewiesen.“
Julian antwortete darauf lieber nichts.
„Was ist? Wollt ihr hier festwachsen?“, fragte Kim. „Ich bin dafür, dass wir Qutula unauffällig folgen.“
Der Schamane lief in die Hügel hinein. Die Freunde ließen ihm fünfzig Meter Vorsprung. Sie befürchteten, Qutula in dem unübersichtlichen Gelände aus den Augen zu verlieren. Doch immer wieder fanden sie die Fußabdrücke des Schamanen im feuchten Boden. So blieben die Freunde dem Verdächtigen dicht auf den Fersen.
Qutula kletterte auf einen großen Felsen. In seinem langen Mantel wirkte die große, hagere Gestalt wie ein unheimlicher, schwarzer Vogel, der seine Schwingen ausgebreitet hat.
Ein Bote des Todes, dachte Julian, den der Anblick ängstigte. Mit seinen Freunden ging er in Deckung.
Jetzt legte Qutula den Mantel ab, zog dann auch noch das Hemd aus. Der kalte Regen prasselte auf seine Haut. Qutula reckte die Arme in den Himmel und begann zu singen. Immer wieder sang er denselben Vers ohne Pause. Der Gesang steigerte sich in ein Brüllen, dann in ein hysterisches Kreischen. Der Schamane wiegte den Oberkörper hin und her, zunächst langsam, dann immer schneller. Schließlich zerkratzte er seine Brust mit den Fingernägeln. In
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