Die Zeitdetektive 03 - Das Grab des Dschingis Khan
die Wassertropfen, die über seinen nackten Oberkörper liefen, mischten sich dünne Rinnsale aus Blut. Plötzlich sank der Schamane auf die Knie. Seine Arme hingen schlaff herab. Der Gesang verstummte. Nur der Regen war noch zu hören. Mehrere Minuten verharrte Qutula in dieser Stellung, bis er sich abrupt aufrichtete, als sei er aus einem Traum erwacht. Mechanisch zog er sich an und marschierte zurück zum Tross, ohne die Kinder in ihrem Versteck zu bemerken.
Sobald Qutula den Wagen mit dem toten Khan erreicht hatte, versammelten sich seine Männer erneut. Die Freunde bezogen wieder ihren Posten und hörten mit.
„Ich habe mit den Göttern gesprochen“, erklärte der Schamane. Seine Stimme klang müde und erschöpft. Alle starrten gebannt auf Qutula.
„Zunächst war mir nicht klar, was sie wollten“, fuhr er fort. „Es waren viele Stimmen, bei der großen Etügen Eke, das sage ich euch. Aber dann, dann hörte ich eine Stimme besonders deutlich heraus. Und es war nicht irgendeine Stimme, die ich da vernahm.“ Qutula machte eine Kunstpause und ließ seinen Blick über die Köpfe der Zuhörenden schweifen. „Oh nein, es war nicht irgendeine Stimme … es war die unseres Khans!“
Ein Raunen ging durch die Menge.
„Ja!“, brüllte der Schamane. „Der Geist des herrlichen Gur Khan hat zu mir gesprochen! Und wisst ihr, was er zu mir gesagt hat?“ Qutula kostete die Spannung aus.
„Sag es uns, Qutula!“
„Unser Khan will hier in den Hügeln beerdigt werden, und zwar mitsamt seinen Schätzen. Der Regen war kein Zufall. Auch nicht, dass der Fluss Huang-ho plötzlich über die Ufer trat und uns daran hinderte, voranzukommen.“ Der Schamane schüttelte mehrmals den Kopf. „Nein, das alles waren Zeichen, die ich jetzt zu deuten verstehe. Es war die Macht des Khans. Er ließ den Regen fallen. Er ließ den Fluss anschwellen und über die Ufer treten.“
In der Menge wurde heftig getuschelt. Der Schamane hob eine Hand. Das Gemurmel erstarb.
„Also werden wir den Khan hier beerdigen“, sagte er. „In den Hügeln gibt es Höhlen, die sich für ein Grab eignen. Denn wir müssen unseren Herrscher nicht nur mit allen Ehren, sondern auch mit allen nur erdenklichen Schutzmaßnahmen bestatten. Niemand darf das Grab finden!“
Alle nickten. Die Freunde in ihrem Versteck sahen sich kurz an. Jetzt waren sie ganz nah dran!
Qutulas Stimme wurde kalt und schneidend. „Die Stelle, wo der Khan seine letzte Ruhestätte findet, wird zum Ikh Koring , zum großen Tabu. Jeder, der diese Stelle kennt, wird getötet. Niemand, der dieses Wissen in sich trägt, darf leben. Seid ihr bereit?“
Die Männer reckten ihre Fäuste in den grauen Himmel. Aus weit über tausend Kehlen drang ein lautes Ja.
„Also werden wir auch alle die töten, die zufällig unseren Weg kreuzen“, fuhr Qutula fort. „Auch ihnen wird die Ehre zuteil, zu sterben und dem Khan im Jenseits dienen zu dürfen!“
Julian ließ seine Stirn gegen den kühlen Fels sinken. „Was für ein Wahnsinn“, murmelte er fassungslos.
Währenddessen gab Qutula neue Befehle. Er ordnete an, den Khan auf einen kleineren Wagen umzubetten, der auf dem matschigen Untergrund besser zu manövrieren war. Auch die Schätze wurden auf andere Karren verteilt. Dann bog die Karawane von ihrem ursprünglichen Weg ab und zog Richtung Osten. Den ganzen Tag marschierten die Soldaten und Diener, verfolgt von vier Kindern und einer Katze.
Endlich hörte es auf zu regnen. Für einen Moment schien sogar die Sonne auf das hügelige Grasland. Allmählich veränderte sich die Landschaft. Die Hügel machten einer schroffen Karstlandschaft Platz. Berge reckten sich in die Wolken.
„Seht nur, hier gibt es tatsächlich überall Höhlen“, erkannte Leon.
„Das stimmt“, bestätigte Julian. „Und wisst ihr was? Mir kommt die Gegend ziemlich bekannt vor.“
Kim sah ihn überrascht an. „Du willst doch damit nicht etwa sagen, dass wir …“
„Doch“, sagte Julian so leise, dass Tscha ihn nicht hören konnte. „Ich könnte wetten, dass wir zu Beginn unseres Abenteuers genau hier gelandet sind! Wir sind im Ordos-Gebiet!“
Jetzt mischte sich auch Leon ein. „Du könntest Recht haben!“
„He, was habt ihr da zu flüstern?“, rief Tscha.
„Oh, nichts“, sagte Julian schnell und wechselte das Thema. „Hast du noch ein paar von deinen leckeren Pilzen?“
„Ja“, sagte Tscha. „Wir sollten uns sowieso einen Platz für die Nacht suchen. Es wird bald dunkel. Und seht nur: Der
Weitere Kostenlose Bücher