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Die Zeitensegler

Titel: Die Zeitensegler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Gemmel
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Seite. »He!«
    Die Krähe umflog den Seelensammler einmal, dann verschwand sie durch eines der Kajütfenster im Inneren des Schiffes.
    Was machte sie im Inneren des Schiffes?, dachte Simon verwundert und wartete darauf, dass sie die Kajüte gleich wieder durchs Fenster verlassen würde. Diese Krähen waren ihm unheimlich. Er wusste sie nicht einzuschätzen. Simon hätte nicht einmal mehr mit Bestimmtheit sagen können, ob ihn eine dieser Krähen in der Nacht wirklich angesprochen hatte oder ob er sich das vielleicht nur eingebildet hatte.
    Doch jetzt war nicht der geeignete Zeitpunkt, über so etwas nachzudenken. Ein Boot voller Soldaten kam auf ihn zu. Jetzt musste erst einmal der Seelensammler in Sicherheit gebracht werden.
    In Sicherheit?
    Simon blickte zu dem Steuerrad und ging einige Schritte darauf zu. Er legte eine Hand auf die oberste Speiche des riesigen Holzrades. Vielleicht könnte er wirklich versuchen zu flüchten. Oder wenigstens einige Seemeilen zwischen die beiden Schiffe zu bringen.
    Doch rasch verwarf er diesen Gedanken wieder. Dafür kannte er sich noch zu wenig aus mit diesem Schiff. Und er war schließlich allein auf Deck. Das Schiff zu steuern, das würde er sich noch zutrauen. Wie aber hätte er allein die Segel setzen und den Anker lichten sollen?
    Noch einmal rannte Simon zu der hinteren Bordwand, um einen Blick auf die britische Mannschaft zu werfen. Sie hatten bereits die Hälfte der Strecke zurückgelegt!
    Er stutzte. Etwas geschah auf dem Ruderboot der Briten. Die Riemen bewegten sich nicht mehr. Alle Soldaten starrten nach vorn, aufs Wasser.
    Jetzt entdeckte Simon es auch: Auf der Wasseroberfläche ging irgend etwas vor sich, dicht vor dem Boot der Briten. Erst waren es nur winzige Bewegungen, die den ruhigen Meeresspiegel durchbrachen, doch schon geriet das Wasser rings um das Boot in Bewegung, Wellen bildeten sich, bis sich eine gigantische Wassersäule aus dem Meer erhob. Keilförmig stieg sie auf, verharrte einige Sekunden in dieser ungewöhnlichen Lage knapp über dem Boot, bis sie unter lautem Brausen in die Tiefe schoss. Sie bildete augenblicklich einen Strudel, einen Trichter, dessen Sog das Boot der Briten erfasste.
    Schon kippte die Spitze des Bootes über den Rand des Trichters. Die Männer schrien auf, und einige versuchten noch, sich mit einem Sprung in die Fluten zu retten. Doch es war bereitszu spät: Jeder Einzelne von ihnen wurde in den Strudel gezogen. Es gab für sie keine Rettung.
    Boot und Besatzung – alles wurde in die Tiefe gerissen.
    »Nein!«, rief Simon völlig außer sich. Es war schrecklich, hilflos mit ansehen zu müssen, wie ein Soldat nach dem anderen im Wasser versank. Erst als es keinen Überlebenden mehr gab, verengte sich der Strudel, das Meer schloss sich über all den ertrunkenen Männern wieder zu einer glatten Fläche und fand zu seiner ursprünglichen Ruhe zurück.
    Simon starrte noch immer fassungslos auf das Wasser. Zehn Soldaten. Gestorben. In nur wenigen Sekunden. Und er hatte zusehen müssen. Dabei hätte er nicht einmal erklären können, was überhaupt geschehen war.
    Aber keinesfalls, da war er sich sicher, war dies eine gewöhnliche Naturerscheinung gewesen!
    Er sackte auf dem Boden zusammen und fiel auf die Knie. Tränen schossen ihm in die Augen und er ließ ihnen freien Lauf. Er trauerte um diese Männer. Er beweinte ihr Schicksal.
    Und er verfluchte sich selbst. Er wünschte nur, er hätte dieses Schiff niemals betreten.

    Eine der Krähen am Mast schrie laut auf.
    Simon blickte zu ihr hoch. Erst jetzt fiel ihm auf, dass der Himmel dämmerte. Es wurde allmählich Abend. Nach dem Tod der Soldaten war er so niedergeschlagen gewesen, dass er den ganzen Tag hier vor der Zeitmaschine gekauert hatte. Er hatte den Blick fest auf die Sanduhr gerichtet und ununterbrochen das Verrinnen der Zeit beobachtet. Im oberen Glas befand sich nun kaum noch etwas von dem roten Sand.
    Doch seine Aufmerksamkeit hatte nicht der Sanduhr gegolten. Seine Gedanken hatten sich ausschließlich mit dem beschäftigt, was er erlebt hatte. Immer und immer wieder hatte sich vor seinem geistigen Auge die schreckliche Szene des kenternden Briten-Bootes abgespielt. Und Simon verspürte das unerklärliche Gefühl, dass er schuld sei an dem Tod der vielen Soldaten. Vielleicht hätte er dieses Unglück ja verhindern können. Aber wie?
    Die übrigen Soldaten auf der »Sirius« verhielten sich seit dem Vorfall ruhig. Es hatte weder weitere Kanonenschüsse gegeben noch einen

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