Die Zeitensegler
»Gefällt mir gar nicht« war das Letzte, was von ihr zu hören war. Dann wurde es wieder still.
Simon beobachtete noch, wie die kleinere Krähe sich ebenfalls zurückzog, dann schlich er zu seinem Schlafplatz zurück und kroch unter sein Segeltuch.
Doch diesmal fiel es ihm schwerer, sich zu entspannen. Das Gespräch der Krähen und der harte Boden des Schiffsdecks unter seinem Körper ließen ihn nicht zur Ruhe kommen. Er schloss die Augen und versuchte, an etwas anderes zu denken. Er dachte an zu Hause, an seine Freunde und an seine Eltern. Und das half. Schon fühlte er sich schwer und müde, als ihn wieder etwas aufschrecken ließ.
»Pst!«
Jemand zog an seinem Shirt. »Schläfst du?«
Er schlug die Augen wieder auf. Nin-Si saß an seiner Seite. »Hab ich dich geweckt?«
Simon setzte sich verwundert auf. »Ist schon in Ordnung. Was gibt es?«
»Ich möchte mit dir reden. Bist du einverstanden?«
Simon seufzte. Diese Nacht schien kein Ende nehmen zu wollen! Verschlafen wischte er sich mit den Händen über die müden Augen. »Natürlich. Was ist los?«
Nin-Si setzte sich dicht an seine Seite. »Du hast uns allen ein gutes Gefühl gegeben heute Nacht«, sagte sie. »So erleichtert und hoffnungsvoll habe ich die anderen noch nie erlebt. Ich wollte dir nur sagen, dass …«
»Ja?«
»… dass – es gut ist, dass du hier bist.«
»Danke, Nin-Si!«
»Und ich, ich wollte …« Die folgenden Worte kamen ihr nicht leicht über die Lippen: »Ich wollte dich um Verzeihung bitten für mein Schweigen. Ich bin die Einzige, die nicht ihre Geschichte erzählt hat.«
Simon winkte ab. »Das ist schon in Ordnung. Du musst ja nicht, wenn …«
»Ich kann es nicht«, fiel sie ihm ins Wort. »Du sollst wissen, dass meine Geschichte anders verlaufen ist als die der anderen.«
Simon stutzte und war auf einmal wieder hellwach. »Wie meinst du das?«
»Die anderen wurden ihren Familien entrissen, aber gleichzeitig vor einer tödlichen Bedrohung gerettet. Bei mir war es anders. Mich hat der Schattengreifer vor meiner Familie gerettet.«
»Du meinst …«
»Ich kann dir das nicht weiter erklären.«
»Aber wenn es doch …«
Sie legte einen Finger auf seine Lippen. »Scht! Ich darf dir dazu nichts sagen. Meine Erziehung verbietet es mir, schlechtüber meine Familie zu sprechen. Ich bin nur zu dir gekommen, um mich dafür zu entschuldigen.«
Simon gab sofort nach. »Also gut, Nin-Si. Wenn du meinst, dass du nicht darüber sprechen kannst, dann solltest du es auch nicht tun.«
»Du verzeihst mir also?«
»Natürlich. Auch wenn es nichts zu verzeihen gibt.«
»Danke!«
Sie ließ sich neben ihm auf den Boden fallen, und Simon spürte, wie Nin-Si sich an seiner Seite entspannte … als wäre ihr nach diesem kurzen Gespräch eine Riesenlast von den Schultern genommen. Zu gerne hätte er zwar ihre Geschichte gehört und mehr über Nin-Si erfahren. Doch er musste sich wohl gedulden. Wieder einmal.
Die beiden lagen noch eine Weile schweigend Seite an Seite auf Simons Segeltuch und genossen die Nähe. Aber schon bald hatte der Schlaf sich ihrer bemächtigt.
Das Erste, was Simon zu sehen bekam, als er am Morgen die Augen öffnete, war Neferti, die ihn streng musterte. Die Ägypterin stand auf dem Deck und war dabei, einige Segeltücher zu ordnen.
Simon wunderte sich über ihre verärgerten Blicke, bis er den Kopf auf seiner Schulter bemerkte. Nin-Si lag an ihn gelehnt und schlief ganz fest neben ihm.
Simon lief rot an. Er fühlte sich ertappt, obwohl er doch gar nichts Falsches getan hatte.
Langsam, ohne Nin-Si aufzuwecken, rutschte er zur Seite und stand auf. Nin-Si seufzte kurz, rutschte näher an die Holzkiste heran und schlief weiter.
Mit schnellen Schritten ging Simon zu Neferti hinüber. »Na, gut geschlafen?«, fragte er und kam sich fürchterlich unbeholfen vor.
Sie blickte nicht einmal von ihrer Arbeit auf.
»Ja«, war die knappe Antwort.
»Wir – wir haben noch geredet«, versuchte Simon zu erklären. »Gestern Abend, und …«
»Bist du hungrig?«, ignorierte sie seine Erklärungen. »Vorn, am Bug, findest du Obst und Brot. Und bevor du fragst: Der Schattengreifer sorgt für unsere Vorräte. Ich weiß nicht wie, aber er kümmert sich darum, dass wir stets genug zu essen und zu trinken haben.«
Das war tatsächlich die Frage gewesen, die Simon auf den Lippen gelegen hatte. »Danke. Ich werde dann mal …« Er wandte sich ab und ging vor zum Bug, wo er auf Basrar traf, der, einen Apfel in der Hand, auf
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