Die Zeitensegler
Muster.
Endlich, endlich hatte Simon das Gefühl, dem Geheimnis des unheimlichen Schattengreifers wenigstens einen winzigen Schritt näher zu kommen.
Zum ersten Mal hatte er den Eindruck, dass sich einzelne Puzzleteile ineinanderfügten, wenn auch alle diese Teile noch immer kein vollständiges Bild ergaben.
Er lächelte. Vielleicht fing er tatsächlich noch an, Puzzlespiele zu mögen.
»Worüber denkst du nach?« Neferti waren Simons Grübeleien aufgefallen.
»Ich fange allmählich an zu verstehen«, war seine Antwort und sofort wandten sich ihm die anderen zu.
» Was verstehst du?«, fragte Basrar aufgeregt.
»Nun ja …« Simon grübelte sogar beim Sprechen, er kam aus dem Nachdenken nicht heraus. Ein erstes Muster …
»Jetzt verrate uns schon deine Gedanken«, forderte Basrar, dem die Ungeduld deutlich anzumerken war.
»Es ist erst einmal nur ein Gedanke«, gab Simon zurück. »Vielleicht ist es ja möglich, euch wieder von diesem Zauber zu befreien!«
Seine Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Die Zeitenkrieger schraken sichtlich zusammen und sogar Nin-Si mischte sich wieder in das Gespräch ein: »Du meinst, wir könnten zurück in unsere Zeit?«
»Vielleicht«, antwortete Simon hastig. Er war überrascht, welche großen Hoffnungen seine Worte in ihnen weckten. »Lasst mich erst darüber nachdenken«, bat er. »Ihr müsst ein wenig Geduld haben.«
»Geduld!«, rief Basrar aus. »Wir haben schon jahrhundertelang Geduld bewiesen.«
»Das glaube ich nicht«, erwiderte Simon.
Basrar sprang auf seine Füße und blickte ihn scharf an. »Wie meinst du das?«
Simon beobachtete die kleine Krähe, die als Einzige noch auf der Bordwand saß und ihnen scheinbar lauschte.
Er war sich nicht sicher, ob er in ihrer Anwesenheit frei sprechen konnte. Doch auf Basrars Drängen hin ließ Simon seine Bedenken fallen und begann.
»Du sagst es selbst, ihr sitzt seit ewigen Zeiten auf diesem Schiff fest. Und dennoch habt ihr heute zum ersten Mal darüber gesprochen, was euch passiert ist. Ich habe euch den ganzen Tag beobachtet. Ich glaube, ihr seid nicht mehr ihr selbst. Ihr seid nur noch die Mannschaft des Schattengreifers, seid seinewillenlosen Gehilfen. Ihr wartet, bis sich das Schiff in Bewegung setzt oder bis euer Herrscher erscheint. Ihr …«
»Was sollen wir denn sonst tun?«, ereiferte sich Neferti. »Ich weiß wirklich nicht, worauf du hinauswillst!«
Simon stand von seinem Platz auf und ging auf Basrar zu. »Lasst es mich so erklären: Basrar, wenn dich in Karthago jemand eingesperrt hätte, was hättest du getan?«
»Ich hätte versucht zu fliehen.«
»Und du, Moon, wenn dir jemand unrecht getan hätte. Wie hättest du reagiert?«
»Ich hätte mich gewehrt. Mit aller Kraft.«
»Und du, Salomon?«
Der Junge aus dem Mittelalter zog grübelnd die Stirn in Falten. »Ich verstehe langsam, was du uns sagen willst«, gab er zur Antwort. »Der Schattengreifer hat uns nicht nur unserer Familien, unserer Zeit und unserer Schatten beraubt, nicht wahr?«
»Genau«, bestätigte Simon. »Mit euren Schatten hat er euch auch euren Lebensmut entzogen und euren Willen, eure Kampfeslust. Er hat euch zu seinen Spielfiguren gemacht – in einem Spiel, dessen Regeln nur er allein bestimmt.«
Die Reaktion der Zeitenkrieger auf diese Worte war erstaunlich: In ihren Augen konnte Simon auf einmal ein Funkeln erkennen, das vorher nicht da gewesen war. Er spürte, dass seine Worte der Gruppe wieder Leben einzuhauchen schienen. Er gab ihnen wieder Hoffnung und weckte in ihnen den Tatendrang, den sie vor ewigen Zeiten verloren hatten.
Alle Blicke ruhten jetzt auf ihm.
Simon hatte das sichere Gefühl, dass es richtig gewesen war, dieses Schiff zu besteigen. Er würde ihnen allen helfen, ihr Leben wiederzugewinnen!
»Du glaubst also wirklich, dass du uns in unsere Zeit zurückbringen kannst?« Nefertis Augen strahlten vor Zuversicht.
»Ich hoffe es. Vielleicht. Aber ihr müsst mir etwas Zeit geben. Lasst mich darüber nachdenken. Ich …«
Basrar erhob sich und legte Simon beide Hände auf die Schultern. »Wenn wir hier auf diesem verfluchten Schiff etwas in Fülle besitzen«, sagte er mit rauer Stimme und sah Simon bedeutungsvoll an, »dann ist es Zeit.«
Simon richtete sich seinen Schlafplatz diesmal vor der Holzkiste ein. Jetzt, da der Schattengreifer eindeutig von seiner Existenz wusste, würde Simon dieses Versteck wohl nicht mehr benötigen. Doch die Kiste war ihm inzwischen so vertraut, dass ihre Nähe ihm ein
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