Die Zeitensegler
finden wir darin die Kleidung, die wir benötigen.«
»Gute Idee«, rief Simon und fasste sofort neuen Mut. »Lasst es uns versuchen!«
Wieder blickte er sich nach allen Seiten um, bevor er schnell vorauslief. Kurz vor dem Haus blieb er stehen. Die Flammen züngelten aus einer Fensteröffnung, die links des Eingangs in die Wand eingelassen war. Aber die gesamte rechte Seite des Hauses wirkte unversehrt.
Simon zögerte noch. Es war ein gefährliches Unterfangen, sich in ein halb zerstörtes Haus zu begeben. Doch sie mussten sich tarnen! Sie mussten es einfach versuchen. Nein – er musste es versuchen. Schließlich hatte er die Zeitenkrieger zu dieser Zeitreise nach Karthago überredet.
Gerade wollte er in das Haus laufen, als Neferti ihm zuvorkam: »Ich gehe rein«, sagte sie nur knapp, und schon war sie durch den Eingang gehuscht, noch bevor Simon etwas erwidern konnte.
Simon lief zu Moon und Salomon, die sich gegen die Wand des gegenüberliegenden Hauses drückten. Keinesfalls wollten sie hier mitten auf der Straße und inmitten der Kämpfe verharren. Aufgeregt und besorgt blickten sie hinüber zu dem Haus, in dem Neferti verschwunden war. Weder an den glaslosen Fensteröffnungen noch an dem Eingang dieses Hauses waren Tücher oder Decken angebracht: So sahen die drei Jungen schon im nächsten Moment, wie Neferti an einem der Fenster vorbeilief.
Das Haus, an dessen Wand sie Halt und Schutz suchten, war im Gegensatz zu dem Gebäude, in dem sich Neferti befand, völlig ausgebrannt, und ein fürchterlicher Gestank ging davon aus. Doch Simon wollte lieber nicht nach der Ursache dieses Geruches forschen. Er hatte schon viel zu viel gesehen, was er am liebsten augenblicklich wieder vergessen hätte.
Dies alles war wie ein einziger Albtraum.
Wieder erschien Neferti an dem Fenster rechts des Eingangs. Mit strahlendem Gesicht zeigte sie ihren Freunden einige Gewänder, die sie tatsächlich in dem Haus gefunden hatte.
Simons Plan war aufgegangen! Jetzt konnten sie …
Ein entsetzliches Krachen ließ den Boden erzittern. Flammen stoben aus dem Dach gegenüber. Simon sah noch, wie Neferti entsetzt aufschrie und nach oben blickte. Ohne auch nur einen Moment zu zögern, rasten die drei Jungs über die Straße. Doch es war bereits zu spät: Im gleichen Moment stürzte das gesamte Dach über Neferti ein.
Simon rannte wie besessen weiter. Er hatte den Eingang beinahe erreicht, als ein zweites Krachen ertönte und das gesamte Haus erzitterte. Mit weit aufgerissenen Augen hielten Simon und seine Freunde mitten in der Bewegung inne: Die vordere Hauswand bog sich nach hinten und sackte schließlich in sich zusammen. Mit ihr verloren auch die anderen Wände ihren Halt. Das ganze Gebäude fiel innerhalb nur weniger Sekunden völlig in sich zusammen und begrub Neferti unter sich.
Simon erwachte aus seiner Erstarrung und stürzte nach vorne. Staub stob ihm ins Gesicht, in Mund und Nase. Er konnte kaum noch atmen, doch all das war ihm egal.
»Neferti!«, brüllte er und nun eilten ihm auch Moon und Salomon zu Hilfe.
Mit vereinten Kräften rissen sie einzelne Gesteinsbrocken aus dem Schutthaufen, der vor wenigen Augenblicken noch ein Haus gewesen war und unter dessen Trümmern Neferti begraben lag.
Nin-Si saß derweil auf dem Deck neben dem australischen Ureinwohner und sprach weiter auf ihn ein. Sie versuchte, ihn abzulenken von alledem, was ihm auf diesem Schiff solche Angst einjagte. Also erzählte sie von ihrem Zuhause, von der Stadt Ur, in der sie groß geworden war. Sie beschrieb ihm die Häuser und die Tempel, die es dort gegeben hatte, und erklärte ihm die täglichen Riten und Gebräuche. Sachte tat sie das. Simons Worte hatten sich in ihr Gedächtnis gebrannt: Er wurde ja in eine Welt gestoßen, über die er gar nichts wusste und in der er nichts Vertrautes erkennen konnte …
Also versuchte Nin-Si, ihm diese Welt ein wenig vertrauter zu machen. Sie wollte ihn über den Verlust hinwegtrösten, denman ihm zugefügt hatte. Und so begann sie von ihrem eigenen Verlust zu erzählen, vom Verlust ihrer Heimat.
Der Junge saß die ganze Zeit über still da und schien ihren Worten zu lauschen. Nin-Si hätte es nicht mit Gewissheit sagen können, doch sie hatte das Gefühl, dass er sie verstand. Und vor allem, dass er es genoss, ihre ruhige Stimme zu hören.
Plötzlich ließ die beiden ein lautes Scharren zusammenschrecken. Die fünfzig Legionäre hatten auf einen Befehl hin ihre Schutzschilde erhoben und präsentierten
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