Die Zeitensegler
Schattengreifers.
Weit fort von hier. Eine andere Zeit, eine andere Welt.
Und Simon stand mit Salomon am Strand Australiens 1788, umringt von hochbewaffneten Uniformierten.
Unfähig, dieser Zeit zu entkommen.
Seine Hände umfassten den Kopf dieses mächtigen Tieres.
Er konzentrierte sich auf die Augen des Tigers, blickte ihm durch die Pupillen direkt ins Herz hinein.
Leise sprach er die ersten Beschwörungen. Der Tiger hielt still.
Wie in Hypnose verharrte er im Griff des Schattengreifers.
Seine Stimme erhob sich, wurde nachdrücklicher.
Die Pupillen des Tigers verengten sich.
Jetzt ermächtigte er sich des Tigers, drang in dessen Geist ein, in seine Erinnerung, wurde eins mit dem Tier.
Die Pupillen schlossen sich. Endlich waren Bilder zu erkennen. Schatten erst, doch schon bald sah er klar.
Er erkannte den Seelensammler, wie er träge auf dem Meer lag, der hintere Mast abgebrochen.
Er sah die Zeitenkrieger. Doch nicht alle.
Salomon und der Aborigine fehlten. Ebenso Simon.
Weiter drang der Schattengreifer durch die Augen des Tigers zum Geschehen vor. Es müsste ihm möglich sein, Kontakt aufzunehmen. Kontakt zu denen, die bereits die Raubtierkralle an der Maschine erblickt hatten.
Die Kralle des Säbelzahntigers.
Weiter drang er in den Geist des Tieres ein. Tiefer.
Nun konnte er sie sehen. Simon und Salomon.
Sie standen am Strand. Sie waren umringt.
Sie befanden sich in Gefahr.
»So etwas habe ich noch nie erlebt!«
Die Männer standen am Strand und versuchten zu verstehen, was sie gesehen hatten. Der Sturm hatte sich gelegt, das Meer sich beruhigt, die Wolken sich verzogen.
Nicht weit von der Stelle entfernt, an der sich der Seelensammler vor ihren Augen in Luft aufgelöst hatte, erklommen die britischen Soldaten nacheinander ihr Ruderboot. Auch ihnen war anzusehen, wie sehr der Vorfall sie erschreckt hatte.
Nur der Anführer der Siedler erholte sich schnell von seinem Schrecken. Es mochte daran liegen, dass das Verschwinden des Schiffes nicht die erste Überraschung des Tages für ihn gewesen war.
»Und nun zu euch beiden«, brüllte er völlig unerschüttert. »Ich denke, ihr werdet uns einiges zu erklären haben!«
»Wir wissen nichts«, gab Simon schnell zurück.
Doch er erntete dafür nur ein lautes Lachen: »Das kann ich mir nicht vorstellen. Aber das ist jetzt auch unwichtig …« Er zückte seine Pistole. »Wir brauchen euch ohnehin nicht mehr.«
»Was?« Einer der Uniformierten streckte die Hand aus und drückte die Pistole des Anführers wieder herunter. »Ihr wollt doch nicht etwa …«
»Fresse halten!«, herrschte der Anführer ihn an. »Diese beiden da sind noch immer schuld an Johns Tod, falls ihr das vergessen haben solltet. Und ich bin nicht bereit, das hinzunehmen. Heute Nacht noch werden Köpfe rollen.«
»Aber ihr könnt nicht …«
Die Pistole an seinem Hals ließ den Soldaten verstummen.
»Welchen Teil meines Satzes vorhin habt ihr nicht verstanden? Fresse halten!«
Der Soldat zog sich zurück. »Entschuldigt!«
Simon hatte sich vorhin nicht getäuscht: Dieser Wahnsinnige war offensichtlich wirklich einer der ranghöchsten Menschen in der Siedlung. Und das verbesserte ihre Situation nicht gerade.
»Ich sehe, wir verstehen uns langsam«, setzte der Anführer jetzt nach. »Und wenn ihr zwei Worte versteht, dann können wir es ja auch gleich mal mit drei Wörtern versuchen: Verpisst euch, sofort!« Die letzten Worte fauchte er dem Soldaten so entgegen, dass dieser vor Schreck leichenblass wurde. Keine Frage: Der Siedler meinte es ernst. Und er war bereit, alles dafür zu tun, dass Simon und Salomon diesen Tag nicht überlebten.
Vielleicht lag es an dem Rang dieses Mannes, vielleicht aber auch daran, dass die Männer mit allem, was heute geschehen war, überfordert waren. Doch nach einem kurzen Blick auf Simon und Salomon zogen sich die Uniformierten zurück. Langsam erst, doch dann immer schneller.
»Und wenn ihr Gewehrschüsse hört, braucht ihr nicht angelaufen zu kommen«, rief der Anführer ihnen hinterher. »Dann wird hier nur ein wenig Ungeziefer beseitigt, klar?«
Es kam keine Antwort. Völlig eingeschüchtert verließen die Uniformierten den Strand, ohne sich umzudrehen. Simon und Salomon standen nun mit den vier Siedlern allein an der Bucht.
Der Anführer weidete sich regelrecht an der Angst der beiden. Die Pistole demonstrativ in der Hand, marschierte er vor ihnen auf und ab, während seine drei Komplizen die Jungen mit ihren Gewehren in Schach
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