Die Zeitrausch-Trilogie, Band 1: Spiel der Vergangenheit (German Edition)
Stilikone Nicolas Noun!«, ruft Wum und der erste Stuhl dreht sich, in virtuelle Flammen getaucht, zu mir. Ein Mann in den Dreißigern hebt seine Hand mit zum Victoryzeichen gespreizten Fingern zum Gruß. Seine Augen sind von dunklem Kajal umzogen, darüber schwarze, geschwungene Brauen, die ihn ungemein weiblich wirken lassen, besonders, da er seine langen Haare rechts und links zu mit Perlen durchwirkten Zöpfen gebunden trägt. Er ist in einen rot leuchtenden Seidenanzug gehüllt, eine dünne Krawatte unter dem aufgeknüpften Oberteil und einen Zylinder auf dem aschblondem Haar, der genau wie seine Augen beständig die Farbe wechselt. Die Stilikone lässt den frenetischen Applaus unberührt über sich ergehen.
»Nicolas bewertet deinen Style und deine Kreativität«, erklärt Wum, als hätte ich mir denken können, das ich auch noch eine Jury zu überzeugen habe. »Sehen wir uns doch kurz die Ergebnisse an: Nicolas, wird Alisons Outfit zum Trend, den wir bald im ganzen Land bewundern können?«
Die Augen der Stilikone verharren einen viel zu langen Moment auf dem Wasserfleck meines unansehnlichen, verwaschenen Shirts und gleiten dann abschätzend über die Jeans, bis hin zu den pinken Schuhen.
»Nun ja«, beginnt Nicolas und noch bevor ich begreifen kann, was es genau mit dieser Jury auf sich hat, flimmern auch schon Ziffern über das Pult, die in schneller Folge eine Punktzahl von null bis sieben anbieten. »Ich denke, schlicht ist das neue Pompös.« Ich glaube nicht richtig zu hören, aber Nicolas zwinkert mir verschwörerisch zu. »Alisons Look ist fabelhaft! Deshalb erhält sie keine Strafpunkte.«
»Aber er entspricht nicht der Mode der damaligen Zeit«, wirft Wum fast verärgert ein.
»Er ist nahezu zeitlos«, erwidert Nicolas Noun, und ich ertappe mich beim Grinsen, auch wenn ich immer noch nicht begreife, warum er das sagt.
»Null Strafpunkte für deinen zeitlosen Style von Nicolas Noun!«, ruft Wum aus und klatscht eifrig in die Hände. »Wie sieht es mit Alisons Kreativität aus, hat sie hier ebenfalls keine Strafpunkte zu erwarten?«
»Diese Frage ist wohl überflüssig«, gibt Nicolas kühl zurück und schlägt raschelnd die in bauschenden, roten Stoff gehüllten Beine übereinander. »Die Idee mit der Botschaft im Baumstamm war absolut mirakulös! Selbstverständlich gebe ich ihr auch hier keine Strafpunkte!«
»Auch hier keine Strafpunkte!«, wiederholt Wum scheinbar freudig, in seinen Augen meine ich jedoch ein ärgerliches Funkeln zu entdecken. Nicolas hingegen wirkt höchst zufrieden und ich bin mir fast sicher, dass er den ebenfalls überkandidelten Moderator nicht ausstehen kann. Dieser hat sich demonstrativ von dem ersten Jurymitglied abgewendet und deutet mit offener Hand auf den zweiten Stuhl.
»Neben Nicolas sitzt der Gründer von Timeship, dem Partner für konsequenzfreies Reisen. Wer könnte sich besser mit Zeitsprüngen auskennen als Melim Ferrisen?« Wum verschlingt seine Hände ineinander, um einen Gruß nachzuahmen, als der zweite Sessel in blauen Dampf gehüllt herumfährt.
Der Unternehmer erwidert den Gruß schmallippig, würdigt mich aber keines Blickes. Dicke Tränensäcke lassen seine Augen kaum erkennen, nur seine scharfe Habichtsnase sticht aus dem auch sonst aufgedunsenen und von roten Flecken überzogenen Gesicht hervor. Alles an dem Experten für Zeitreisen wirkt abstoßend und auf beängstigende Weise teilnahmslos. Der Unternehmer hustet, wedelt mit der Hand den künstlichen Nebel weg und greift nach einem Getränk, das er hinunterstürzt und sogleich auffordernd auf das leere Glas tippt. Der scharfe Geruch von Alkohol trägt sich zu mir. Ich bin mir sicher, dass dieser Mann mehr an seinem Rausch als an mir interessiert ist, und warte mit klopfendem Herzen auf sein Urteil.
»Als Experte für Zeitreisen«, klärt Wum mich auf, »bewertet Melim Ferrisen deine Anpassungsfähigkeit und dein Geschick. Willkommen, Melim! Kommen wir direkt zu dem Ergebnis: Wie hat Alison in diesen Disziplinen punkten können?«
»Das Wichtigste bei Reisen in eine andere Zeit«, hebt der Unternehmer im belehrenden Tonfall an, »ist Unauffälligkeit! Die Kandidatin hat sich ebenso unauffällig verhalten wie ein gelb getupftes Känguru auf einem Airbike. Sie bewegt sich laut und schwerfällig, erkennt keine Gefahren und kann die Folgen ihres Handelns nicht einschätzen. Ich sehe hier Versagen auf ganzer Linie. Sechs Strafpunkte … je Disziplin!«
»Sechs Strafpunkte?«, echoe ich.
Weitere Kostenlose Bücher