Die Zeitrausch-Trilogie, Band 1: Spiel der Vergangenheit (German Edition)
kritzle Alison Hill auf die Rückseite.
Und wieder sehe ich meine Mum vor mir. So dünn war sie, so verloren. Ich habe sie im Stich gelassen, bin nicht in ihrer Realität geblieben … Nicht darüber nachdenken, es ist zu spät. Zu spät und vorbei … Nächster Karton, einfach schreiben, nicht denken …
Nach einiger Zeit stehen über hundert beschriebene Alisons auf Tassen, Shirts und Wimpeln vor mir, die in absoluter Gleichförmigkeit den Kopf drehen und lächeln.
»Was für ein Horrorkabinett«, sage ich zu meinem Konterfei, das mich durch eine Glaskugel angrinst, reibe mir das Handgelenk und ziehe eine längliche Verpackung von dem Wagen. Ich bin müde und froh, nur noch ein Dutzend der was auch immer unterschreiben zu müssen. Aber als ich den Inhalt auf den Tisch stelle, würde ich der Figur, die augenblicklich losläuft, am liebsten den Kopf abreißen. Unwirsch greife ich mein Miniatur-Ich an den Füßen und lasse es kopfüber vor meiner Nase baumeln. Es trägt ebenso wie ich eine Jeans und ein graues Shirt. Nur seine Augen leuchten in einem übertriebenen Grün. Das Püppchen schielt zu mir und sagt mit einer viel zu niedlichen Stimme: »Willst du meine Freundin sein? Ja? Toll! Dann komm mit mir. Wir erleben ein Abenteuer!«
Ich fange an, mich zu hassen, und bin fast froh, als die Tür aufgeht und der Techniker im Ganzkörperstrampler gefolgt von Nale hereinkommt, der den Eindruck vermittelt, er würde mich nicht kennen.
»Folgen Sie mir«, sagt der Strampler ohne Gruß. »Sie müssen in neunzig Sekunden auf der Showbühne sein. Und du, pack ein paar davon in die Geschenktüten für die Promis in der ersten Reihe.« Seine letzten Worte gelten Nale, der angestrengt meinem Blick ausweicht.
Als wir den Raum verlassen, zeigt mein Marker einundachtzig Sekunden und ich folge müde den eiligen Schritten vor mir. Wir gehen durch einen langen Korridor, an dessen Wänden das verschiedenfarbige aber sonst immer gleiche Portrait eines Mannes mit Zwirbelbart und spitzem Kinn hängt.
»Wer ist das?«
»Sven Oskar. Hier hoch, bitte«, sagt der Mann und zeigt auf eine erstaunlich unzeitgemäße Stahltreppe, die bereits Rost angesetzt hat. »Sie warten auf dem Stuhl neben der Visagistin, bis Wum Sie auffordert, die Bühne zu betreten. Versuchen Sie zu fliehen oder machen andere Dummheiten, übernimmt der Marker die Kontrolle, verstanden?«
Ich nicke.
»Na los, gehen Sie schon.«
Ivana Jass' vergoldete Hand winkt mich zu sich und kaum, dass ich mich neben sie gesetzt habe, dreht sie mein Gesicht zu beiden Seiten und sieht mich prüfend an.
»Tut mir leid, Schätzchen, ich darf da leider nichts mehr machen. Sie wollen dich so, wie du bist. Mit geröteter Haut und spröden Lippen. Man soll den Verfall sehen, du verstehst schon.«
Sehe ich so furchtbar aus? Bisher hatte ich noch keine Gelegenheit, in einen Spiegel zu schauen, im Grunde ist es mir auch vollkommen egal, wie ich wirke, es sei denn, ich würde Kay nochmals begegnen. Von meiner Position aus habe ich aber nur eingeschränkten Blick auf die Bühne und kann ihn nirgends ausmachen. Ich sehe jedoch die Frau, die sich wie bei dem letzten Werbespot lachend durch die Zeit bewegt. »Ich hab's getan!«, ruft sie gerade.
Plötzlich springt Ivana auf und geht mit einer schlanken Flasche bewaffnet auf Wum zu, der eben, gefolgt von einem Assistenten, die Treppe hinaufkommt. Er wirkt verärgert und als Ivana sein Gesicht mit Hilfe der Flasche bestäuben will, schiebt er sie unsanft zur Seite.
»Bekommt diesen Jungen in den Griff!«, zischt er dem Assistenten zu, dann setzt der Jingle von Top The Realities ein und Wum betritt mit breitem Lachen und ausgebreiteten Armen die Bühne.
»Er sieht einfach lächerlich aus«, raunt Ivana mir durch den tosenden Applaus zu. »Dieser Trend ist unmöglich, ich weiß nicht, wie ihr so etwas tragen konntet.«
»Das war vor meiner Zeit«, antworte ich, stimme ihr jedoch in Gedanken zu.
Wum sind plötzlich Haare gewachsen, die in blonden Strähnen über seinen Nacken fallen. Vorn trägt er sie kurz, was den dünnen Schnauzbart noch mehr betont. Um seinen Hals baumelt eine feingliedrige Goldkette, an seinen ausgebreiteten Armen leuchten neonfarbene Schweißbänder, dazu ein schultergepolsterter Blouson aus violetter Seide.
Wum heißt sein Publikum überschwänglich willkommen und begrüßt einige Gäste in der ersten Reihe per Handschlag.
»Ist Kay auch hier?«, flüstere ich Ivana zu und versuche, die Antwort in ihrem
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