Die Zeitreisen des Zacharias Jones (Flucht aus dem Mittelalter) (German Edition)
verwitterte Holztüren führten in das angrenzende Haus. Am Rand des Strohdachs lehnte eine Leiter, an der ein eisenreifumspannter Eimer mit Werkzeug und einigen graugelben Strohgarben hing. Anscheinend brauchte das Dach eine Reparatur.
„Was willst du hier?“, hörte er eine brüchige Fistelstimme hinter sich.
Er wirbelte herum. Vor ihm stand eine alte Frau. Fettige graue Haare fielen ihr auf die Schultern, und auf ihrer krummen Nase thronte eine dicke Warze. Sie hatte sehr undeutlich gesprochen und als sie erneut den Mund öffnete, zeigte sich, dass ihr lediglich ein einziger Zahn geblieben war, der wie ein gelber Turm aus ihrem Unterkiefer ragte.
„Was willst du hier?“ wiederholte die Frau und drohte ihm mit dem Reisigbesen, den sie in den Fäusten hielt. „Bei uns wird nichts gestohlen, hörst du?“
Fieberhaft überlegte Zacharias, was er tun sollte. Fast hatte er sich schon entschieden, die alte Frau einfach stehen zu lassen und an ihr vorbei zurück auf die Straße zu laufen, da hörte er Pferdewiehern und Hufe, die im schnellen Trab auf das Pflaster schlugen. Sie waren ganz nah! Gleich würden sie vor dem Tor sein! Jetzt hatte er nur noch eine Chance.
„Bitte“, stieß er hervor, immer noch schnaufend und inständig hoffend, die Frau würde seine atemlosen Worte verstehen, deren Aussprache in ihren Ohren so seltsam fremd klingen musste.
„Bitte, ich werde verfolgt. Der Burgvogt ist hinter mir her, mit seinen Reitern, sie sind gleich hier. Ihr müsst mir glauben, ich habe nichts Böses getan! Ich bitte Euch, versteckt mich!“
„Er muss hier irgendwo sein“, rief eine Stimme von draußen. „Wir haben alle Gassen abgeritten. Er kann keinen anderen Weg genommen haben!“
Nun hatte auch die Alte die Pferde gehört. Aus ihren gelben, trüben Augen starrte sie ihn an, als sei er wahnsinnig. „Was soll ich? Dich verstecken? Vor dem Burgvogt? Glaubst du, ich bin lebensmüde? Nein, Bürschlein, daraus wird nichts!“
Und bevor Zacharias sie daran hindern konnte, humpelte sie erstaunlich flink mit kleinen, tippelnden Schritten aus dem Tor hinaus in die Gasse und schwang ihren Reisigbesen über dem Kopf.
„Hier ist der Lümmel, den ihr sucht“, krächzte sie, „Kommt hierher, schnell!“
Seine Knie wurden weich, als er sah, wie die ersten Reiter zufrieden grinsend ihre Pferde durch das offene Tor lenkten. Er rüttelte an der Tür, die ihm am nächsten war, aber sie war verschlossen. Noch bevor er es an der anderen Tür versuchen konnte, öffnete sich diese von selbst und ein glatzköpfiger, beleibter Mann mit weit abstehenden, feuerroten Ohren trat heraus. In der Hand hielt er einen Hammer. Offenbar war er derjenige, der die Reparatur des Daches in Angriff genommen hatte. Verwundert schaute er erst auf Zacharias, dann auf die alte Frau, die immer noch wild gestikulierend auf der Gasse stand.
„Halt ihn fest“, krähte die Alte, als sie den Mann bemerkte. „Los, halt ihn fest.“
Doch der Glatzkopf, immer noch erstaunt über das, was sich plötzlich in seinem Hof abspielte, war viel zu langsam. Geschickt schlä ngelte sich Zacharias durch die ausgestreckten, muskulösen Arme, bevor sie ihn packen konnten. Ohne auch nur eine Sekunde zu überlegen, kletterte er vor den Augen der verdutzten Reiter und des Burgvogts die Leiter hinauf. Nach der letzten Sprosse erhob sich vor ihm die Dachschräge. Sie war ziemlich steil, aber er traute sich ohne Weiteres zu, es nach ganz oben zum Dachfirst zu schaffen. Dort würde ihn so schnell keiner zu fassen kriegen.
Das graugelbe, in lange Garben gebundene Stroh des Daches war feucht und glitschig. Tief krallte er seine Finger hinein und zog sich über die Dachkante. Eine Sekunde blieb er erschöpft hocken, dann spähte er vorsichtig über den Rand. Ein bisschen tief dafür, dass es hier so rutschig ist, dachte er und presste sich noch fester an die Strohbündel.
Unten schwenkte die Alte aufgeregt ihren Besen und zeterte dabei so laut, dass sich die Pferde mit ihren Reitern in dem engen Hof nervös aneinander drängten. Selbst von oben war unschwer zu erkennen, dass der Burgvogt vor Wut nur so schäumte.
„Holt ihn sofort herunter! Ich will, dass ihn jemand herunter holt!“
Einer der Reiter sprang vom Pferd und begann, die Leiter zu erklimmen. Zacharias zog den Kopf ein und kroch das Dach weiter hinauf, bis er den Giebel erreichte und sich an ihm festhalten konnte. Als er zurücksah, schickte sich der Mann auf der Leiter gerade an, seinerseits auf das
Weitere Kostenlose Bücher