Die Zeitreisen des Zacharias Jones (Flucht aus dem Mittelalter) (German Edition)
rohes Fleisch, dachte Zacharias. Daran konnte doch nicht allein die Kälte schuld sein? Vielleicht lag es an der Flüssigkeit mit dem beißenden Geruch? Plötzlich fiel ihm auf, wie krank und verhärmt die Männer trotz ihrer Jugend aussahen. Und fast schämte er sich, dass er selbst in einer Welt zu Hause war, in der man Gummihandschuhe ganz selbstverständ lich in jedem Supermarkt kaufen konnte.
Hanna zog Zacharias durch das Tor hinein in das Gebäude, und wenn er geglaubt hatte, dass der Gestank unmöglich noch schlimmer werden konnte, wurde er jetzt eines Besseren belehrt. Seine Augen b egannen zu tränen und der Geruch nach Fäulnis und totem Fleisch wurde so mächtig, dass es ihm den Atem nahm.
An den Wänden steckten brennende Fackeln. Sie warfen ihr flackerndes Licht auf hölzerne Rahmen, auf die blutige Tierhäute g espannt waren. Auf einem niedrigen, aber ausladenden Tisch lagen verschiedene Werkzeuge, Zangen in verschiedenen Größen, Messer und eiserne Kämme. Eines der Werkzeuge fiel Zacharias wegen der scharfen, gebogenen Klinge besonders auf. An ihren beiden Enden waren Griffe angebracht, sodass von jeder Seite Druck auf das geschliffene Metall ausgeübt werden konnte.
Ein Junge, etwa in seinem Alter, war damit beschäftigt, Häute auf dem Tisch auszubreiten. Sie waren ohne Fell, glänzten aber fettig und waren über und über mit Fleischresten bedeckt. Der Junge griff zu dem Werkzeug mit der gebogenen Klinge. Geschickt und ohne das zukünftige Leder zu verletzen, schabte er Fett und Fleischreste herunter, wobei er die Klinge in kurzen Abständen an der Tischkante säuberte. Er war so in seine Arbeit vertieft, dass er den Besuch nicht bemerkt hatte.
„Got mir dir, Hans“, sagte Hanna.
Der Junge hielt inne und schaute sie überrascht an.
„Und ich bin Zacharias“, sagte Zacharias höflich und hielt dem Jungen die Hand hin. Er hatte keine Ahnung, ob man sich auch im Mittelalter die Hand schüttelte. Hoffentlich machte er gerade keinen Fehler.
Doch nach kurzem Zögern ergriff Hans die ausgestreckte Hand. „Got mit euch“, antwortete er.
Von der darauf folgenden Unterhaltung verstand Zacharias kaum etwas. Hanna und Hans sprachen viel zu schnell. Wohl hörte er die Worte „sêllôser Grâf“ und „unrehte stiure“ heraus, aber den Sinn des Gesagten begriff er nicht. Er nutzte die Gelegenheit, sich umzusehen.
In einer Ecke waren Holzscheite bis zur Decke gestapelt. Daneben lag ein fast mannshoher Haufen Baumrinde. Zuerst fragte er sich, wozu sie wohl benötigt wurde, doch dann fiel ihm ein, dass mithilfe der Rinde von Birken und Eichen die Flüssigkeiten hergestellt wurden, die zum Enthaaren der Felle dienten.
Dann verabschiedete sich Hanna auch schon, und Zacharias war mehr als froh, endlich wieder an die frische Luft zu kommen. Als er sich an dem großen Tor noch einmal umdrehte, beugte sich Hans mit der gebogenen Klinge schon wieder über seine Tierhäute.
Ein Tag folgte auf den anderen, und Zacharias lernte, was es bedeutete, den Winter in einem mittelalterlichen Dorf zu erleben. Zum Waschen gab es nur das Wasser, das Hanna jeden Morgen in einem hölzernen Eimer vom Dorfbrunnen holte. Es war eiskalt und jeder begnügte sich damit, nach dem Aufstehen mit ein paar Spritzern den Schlaf aus den Augen zu reiben. Anfangs hatte ihm das nicht viel ausgemacht, doch jetzt sehnte er sich nach einer heißen Dusche, und er hätte nie gedacht, dass er einmal ein ganz normales Badezimmer vermissen würde.
Und das betraf nicht nur die Dusche. Als Zacharias das erste Mal aufs Klo musste, hatte er noch versucht, sich unauffällig nach so etwas wie einer Toilette umzuschauen. Aber die Hütte bestand nur aus dem Wohn- und Schlafraum, in dem auch die Kochstelle untergebracht war und dem kleinen Stall für die Hühner dahinter. Keine Spur von dem Örtchen, das er suchte.
Als er Hanna danach fragte, hatte sie nur gelacht, ihn am Arm vor die Tür gezogen und auf den Wald gedeutet. Inzwischen war er sich sehr sicher: Es gab nur wenige Dinge, die unangenehmer waren, als sich mitten im Winter in einem düsteren Wald einen Platz als Toilette suchen zu müssen.
Hanna war oft mit ihrer Mutter unterwegs, um Krankenbesuche zu machen. Wenn die beiden fort waren, übernahm er die Pflege des Professors, wischte ihm die Stirn mit nassen Tüchern, wenn er fieberte, redete beruhigend auf ihn ein, wenn er vor Schmerzen stöhnte, und flößte ihm Wasser ein, ganz so, wie Hanna es ihm gezeigt hatte.
War
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