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Die Zeitreisenden in Callahans Saloon

Titel: Die Zeitreisenden in Callahans Saloon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Spider Robinson
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im Mantel. »Und du bist der Meinung, daß das schon das Ärgste ist, was passieren kann? Nehmen wir doch an, daß ich Erfolg habe und daß das Ergebnis nur eine Welt ohne Bobbi Joy ist. Sie hat uns allen die kollektive Schuld zum Bewußtsein gebracht und uns damit unglaublich positiv beeinflußt. Ich weiß nicht, ob ich das Recht habe, der Welt ihre Musik vorzuenthalten.
    Und was ist, wenn es ein Gesetz von der Erhaltung des Schmerzes gibt? Und wenn der Schmerz innerhalb eines Kontinuums nicht zerstört werden kann? Dann erreiche ich nur eines: daß ihr Schmerz in eine andere Richtung umgelenkt wird. Vermutlich geht er dann auf mich über – und ich kann überhaupt nicht singen. Ich gebe zu, Henry, daß ich keine Ahnung habe, was für Folgen meine Tat heraufbeschwört. Aber ich weiß, was ich tun muß.«
    »Und ich kann es nicht zulassen«, wiederholte sein Bruder.
    Er hob die seltsame Glaspistole, zielte auf das Herz des Weltverbesserers, und ich sah, wie Callahans große Hände unter der Theke nach der Schrotflinte tasteten, und ich sah, wie Longdrink, Doc und Tommy Janssen sich auf den Schützen stürzen wollten, und ich wußte, daß es keiner von ihnen rechtzeitig schaffen würde. Deshalb machte ich ohne zu überlegen kehrt, stellte den Verstärker auf höchste Lautstärke, griff meine E-Saite so hoch wie möglich und schlug sie an. Ein gellender hoher Ton durchschnitt die Luft, und ich hielt die Gitarre an den Monitor-Lautsprecher, um ein möglichst starkes Feedback zu erreichen. Ein rotglühendes Messer bohrte sich in jedes Ohr im Raum, und alle Bewegungen erstarrten. Das Feedback wurde immer stärker, und das Geräusch steigerte sich vom Gekreisch eines abgestochenen Schweins zu einem Ton, den man nicht mehr hörte, sondern nur noch fühlte. Die Gläser auf der Theke begannen zu zersplittern, dann die Flaschen auf dem langen Regal dahinter ...
    Und plötzlich auch die gläserne Pistole.
    Ich stellte rasch die Gitarre ab, und der Ton klang noch minutenlang in unseren Ohren nach. Aus ein paar Schnittwunden auf Callahans Gesicht tropfte Blut, und die Hand des Revolverhelden sah scheußlich aus. Doc Webster tauchte unvermittelt neben ihm auf, zauberte aus seiner allgegenwärtigen schwarzen Tasche Mullbinden und Desinfektionsmittel hervor und steuerte den Verletzten zu einem Stuhl. Der Weltverbesserer setzte sich neben ihn. »Wie hast du es angestellt, Henry? Ich habe geglaubt, daß ich die einzige ...«
    »Das stimmt auch«, fuhr ihn Henry an. »Du bist mit der Zeitmaschine zurückgekommen, du verdammter Irrer, und ich habe sofort an deinem Gesichtsausdruck erkannt, daß du es geschafft hattest. Ich habe nicht darauf gewartet, daß ich herausfinde, was du in der Welt verändert hast; ich habe dich mit einem Stuhl niedergeschlagen, dir den Gürtel abgeschnallt und einen letzten, verzweifelten Versuch unternommen, meine Zeit zu retten. Du bist lachend zusammengebrochen, und jetzt weiß ich, warum. Weltverbesserer!«
    Der Weltverbesserer stand auf und sah Callahan an. »Sie haben eine Schrotflinte unter der Theke. Geben Sie sie mir.«
    Callahan blieb eisern. »Kommt nicht in Frage.«
    »Dann ersteche ich ihn oder schlage ihm den Schädel mit einem Stein ein oder werfe ein Zündholz in seinen Benzintank.«
    Er ging zur Tür, und niemand stellte sich ihm in den Weg.
    »Warten Sie einen Augenblick«, rief ich, und er hielt an.
    »Hören Sie«, begann er, »ich bin Ihnen dankbar, aber …«
    »Warten Sie«, unterbrach ich ihn, »wir können Ihnen zwar keinen Revolver anbieten ... aber wir können eine Kollekte für Sie veranstalten.«
    Er sah mir mit offenem Mund zu, als ich den Hut abnahm und ihn Noah Gonzalez hinhielt. Noah ließ ohne zu zögern eine Fünf-Dollar-Note hineinflattern und gab den Hut an Slippery Joe weiter. Die Gäste begannen, in ihren Taschen zu kramen, ihre Brieftaschen auszuräumen und warfen die Ausbeute in den Hut, wenn er zu ihnen kam. Er wurde rasch voll, und als er bei dem Schnellen Eddie landete, befanden sich gut hundert Dollar in ihm.
    Eddie übernahm den Hut von Callahan und sah den Weltverbesserer an. »Ich habe keine Piepen«, verkündete er, »aber vor der Tür steht mein Chevy Baujahr 1965, der noch mühelos seine hundertzehn läuft.« Er fischte die Autoschlüssel aus der Tasche und warf sie in den Hut. »Vergeuden Sie Ihre Zeit nicht erst damit, die Karre zu parken; um diese Zeit finden Sie in ganz Harlem keinen Parkplatz. Parken Sie in zweiter Spur; ich hole ihn mir dann morgen von

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