Die Zeitreisenden in Callahans Saloon
hineingefressen; daher explodierte er. »Wovor? Mein Gott, wo soll ich anfangen? Da war dieser Krieg, und sie wollten, daß ich mitkämpfe. Und dann gibt es die Colleges, und sie wollen, daß einem an diesem Bildungstrip etwas liegt, aber ihnen liegt so wenig daran, daß sie ihn nicht einmal so attraktiv machen wie Schwarzen Peter. Dann haben wir die Luft, die man angeblich nicht atmen kann, und Wasser, das man nicht trinken kann, und Nahrung, die ein Geier stehenlassen würde, und herrliche Zukunftsaussichten. Man bekommt keine Arbeit, wenn man kein Auto hat, das man sich nicht einmal leisten könnte, wenn man Arbeit hätte, und wenn man Arbeit bekommt, verdient man fünf Dollar weniger, als die Miete ausmacht. Im Fernsehen machen sie Reklame für Karatekurse für Vierjährige, die neuen Kleider des Präsidenten waren auch nicht kugelsicher, die nächste Wirtschaftskrise wartet hinter der Ecke, und Sie fragen mich, wovor ich davonlaufe?
Mann, ich bin seit sieben Monaten sauber, und in diesen verdammten sieben Monaten habe ich diese Insel abgeklappert wie ein Vertreter, und es gibt nichts für mich. Keine Arbeit, keine Freunde, keine Wohnung, in der ich so lange leben kann, daß der Fußboden schmutzig wird, kein Geld, und niemanden, der nicht auf mich zeigt und ›Junkie‹ sagt, und dabei lasse ich es sieben Monate lang bleiben, und Sie fragen mich, wovor ich davonlaufe? Mann, einfach vor allem!«
In diesem Augenblick bemerkte ich den Kerl in der Ecke, den mit den Augen. Erinnern Sie sich an ihn? Er beugte sich aufmerksam vor, sein Mund war ein schwarzer Strich, und sein Gesicht gespannt wie ein Trommelfell. Seine gespenstischen Augen ließen den Jungen keinen Augenblick lang los, aber irgendwie war ich davon überzeugt, daß er uns alle beobachtete, jeden einzelnen im Raum.
Keiner wußte eine Antwort für den jungen Janssen. Im Lokal saßen lauter Männer, die gelernt hatten zuzuhören, mitzufühlen, die versuchten, den Kummer des anderen zu verstehen und zu teilen. Und keiner sagte ein Wort. Ihre Gedanken gingen weit über die hervorgesprudelten Worte eines gequälten Jungen hinaus, und sie fragten sich, ob diese verrückte, verworrene Welt nicht vielleicht doch für einen Halbwüchsigen die Hölle war. Die meisten von ihnen wußten schon sehr genau, daß die Gesellschaft dem Sünder niemals vergibt, aber sie erkannten bestürzt, wie schmal und trostlos der Pfad der Tugend in den letzten Jahren geworden ist.
Sie hatten all das natürlich schon vorher gehört, so oft, daß es abgedroschen klang. Doch jetzt fiel ihnen auf, daß diese abgedroschenen Phrasen schuld daran waren, wenn ein junger Mann behauptete, es wäre ein schönes Gefühl, tot zu sein, und auf allen Gesichtern spiegelte sich eine Frage: Um Himmels willen, wann haben wir denn zugelassen daß diese Dinge zu abgedroschenen Phrasen werden? Die Probleme der heutigen Jugend waren nicht mehr ein Leitartikel in der Sonntagszeitung oder eine Nachricht im Fernsehen oder etwas anderes, ebenso Fernes und Verschwommenes, sondern sie hatten sich plötzlich in einen schmutzigen, zitternden Jungen verwandelt, der in dieser Welt, die wir mit unserem Schweiß und Blut für ihn errichtet hatten, nicht nur genug vom Leben, sondern so wenig Angst vor dem Tod hatte, daß er eine Zeitlang täglich zur Erholung gestorben war.
In Callahans Lokal machte sich Stille breit. Niemand hatte etwas zu sagen, und der Kerl mit den Augen schien es zu wissen, und dieses Wissen schien ihm eine verrückte, bittere, innerliche Befriedigung zu verschaffen. Er wollte sich schon zurücklehnen, als Callahan die Stille unterbrach.
»Dann lauf«, sagte er.
Genauso, tonlos, ohne Ausdruck, nur: »Dann lauf.« Die Aufforderung hing etwa zehn Sekunden in der Luft, während er und der Junge einander in die Augen sahen.
Auf die Stirn des Jungen traten Schweißperlen. Langsam, mit zitternden Fingern griff er unter seine Lederjacke in seine Hemdtasche. Seine Knöchel waren weiß, als er eine flache, glänzende, schwarze, etwa acht mal vier Zentimeter große Schachtel herauszog. Er blickte Callahan weiterhin starr in die Augen, als er sie öffnete und hochhielt, so daß wir alle die blitzende Injektionsspritze sehen konnten. Sie sah nicht aus, als wäre sie jemals benützt worden; er mußte sie eben erst gestohlen haben.
Er hob sie einen Augenblick ins Licht, schaute an seinem nackten, sauberen Arm entlang zu ihr hinauf, dann drehte er sich um und warf sie mitsamt der Schachtel in den Kamin.
Weitere Kostenlose Bücher