Die Zeitstraße
Zavecchi-Autos. Die Flüssigkeit begann sofort mit dem Gummi des Reifens zu reagieren. Ein leises Zischen wurde hörbar, das sich rasch verstärkte. Der Station Wagon hing plötzlich schief. Der rechte Vorderreifen war platt.
Paul fuhr los und kreuzte eine halbe Stunde lang rings um den großen Parkplatz. Schließlich entdeckte er Leona Zavecchi. Sie schob einen vollen Einkaufswagen vor sich her, und in ihrem Kielwasser befanden sich wiederum die beiden Mädchen, weinend, wahrscheinlich, weil Leona ihnen nicht gekauft hatte, wonach sie verlangten. Paul kurvte ein Stück weiter und kehrte gerade in dem Augenblick auf seinen ursprünglichen Parkplatz zurück, als auch Leona dort anlangte und mit Entsetzen den platten Reifen musterte.
Paul stieg aus.
»Sieht aus, als wäre er hin«, bemerkte er fachmännisch.
Leona fuhr sich mit der Hand durch das unordentliche Haar.
»Mein Gott … was mache ich jetzt? Ich hab’ noch soviel zu erledigen.«
Sie starrte unverwandt auf den Reifen.
»Kann ich Ihnen helfen?« erkundigte sich Paul. »Ich bringe Sie gerne nach Hause. Von dort aus können Sie eine Garage anrufen und den Auftrag geben, daß der Reifen ausgewechselt wird.«
Leona sah zu ihm auf.
»Würden Sie das wirklich tun?«
»Aber selbstverständlich«, polterte Paul. »Kommt her, ihr zwei Racker!«
Schon hatte er die beiden Kinder an der Hand und führte sie zu seinem Wagen. Nachdem er sie auf dem rückwärtigen Sitz verstaut hatte, lud er den Inhalt des Einkaufswagens in den Kofferraum und stellte dabei fest, daß Leona sich auf Naraganssett Bier und Old Crow Bourbon beschränkt hatte. Er schichtete die Flaschen und Kisten auf die Decke, die er über die eigenen Spirituosen gebreitet hatte. Er öffnete Leona die Tür und ließ sie einsteigen.
»Sie werden sehen, in einer Stunde ist Ihr Wagen wieder heil«, redete er ihr zu. »Reifenwechsel dauert nicht lange. Sie müssen der Garage nur sagen, wo Sie wohnen, damit sie Ihnen das Fahrzeug zustellen kann.« Er lächelte die unscheinbare Frau an. »Und mir übrigens auch. Sonst kann ich Sie nicht nach Hause bringen.«
»Oh, entschuldigen Sie«, sagte Leona zerfahren. »Natürlich. Maple Street, Nummer einundzwanzig.«
Paul brachte seine Fracht sicher an Ort und Stelle. In der Maple Street angekommen, schickte er Leona mit den beiden weinenden Kindern nach oben in die Wohnung und lud den Einkauf eigenhändig aus. Dabei vertauschte er, soweit der Vorrat reichte, Bier und Schnäpse, die Leona erstanden hatte, gegen diejenigen aus, die am Morgen gekauft und präpariert worden waren. Leona floß über vor Dankbarkeit.
»Gibt’s nicht irgend etwas, was ich für Sie tun kann?« jammerte sie, nachdem Paul ein Trinkgeld und eine Tasse Kaffee bereits abgelehnt hatte. »Ein Bier vielleicht? Trinken Sie Bier?«
»Nein, danke«, lächelte Paul. »Es ist wirklich nicht nötig …«
»Wir haben nämlich gerade Bier im Haus«, sprudelte Leona hervor. »Ach so, das wissen Sie. Sie haben’s ja selbst heraufgetragen. Das ist wegen der Party heute abend. Mein Mann hat einen Kriegskameraden eingeladen, aus dem Korea-Krieg, wissen Sie?«
»Das ist schön«, kommentierte Paul in der Art des unbeteiligten, gelangweilten Zuhörers, obwohl diese Nachricht durchaus von Wichtigkeit für ihn war. »Aber jetzt gehen Sie besser daran, eine Garage anzurufen, sonst kriegen Sie Ihren Reifen nie repariert.«
Er verabschiedete sich von Leona und den beiden Kindern, die inzwischen aufgehört hatten zu weinen, und kehrte zu seinem Motel zurück. Eine weitere Phase seines Unternehmens war abgeschlossen.
In der Familie Danbury war selbst nach einhundert Jahren noch die Erinnerung an den Memorial Day 1964 äußerst lebendig. Es war eben diese Erinnerung, die Paul Danbury die eigentliche Handhabe für sein Unternehmen gab. Wie es schien, hatte Giulio Zavecchi für den Abend des 29. Mai seinen Freund und Kriegskameraden Elmer Danbury zu »ein paar Schlucken Bier« eingeladen. Aus den paar Schlucken war im Laufe der Nacht ein großmaßstäbliches Besäufnis geworden. Nachdem sie einige Kisten Bier und mehrere Flaschen Schnaps geleert hatten, waren Giulio und Elmer gegen fünf Uhr am Morgen des 30. Mai auf die großartige Idee gekommen, zum Friedhof zu gehen und dort ein paar Gräber mit Blumen zu schmücken. Ohne Zweifel hatten sie nur diese freundliche Absicht, die dem Sinn des Memorial Day ganz und gar entsprach. Die anderen Frühaufsteher jedoch, die an diesem Morgen stocknüchtern und mit
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