Die Zeitwanderer
fortgesetzt wurde.
Als der erste Arbeitsgang beendet war, wischte Chen Hu vorsichtig die überschüssige Tinte und das durch die Stiche herausgetretene Blut weg. Anschließend suchte er vier weitere Exemplare seiner scharfen Werkzeuge zusammen. Er presste sie aneinander und tauchte sie gemeinsam ins Tintenfass. Als an jeder der Spitzen mehr als genügend Flüssigkeit haften geblieben war, nahm er seine Arbeit wieder auf. Diesmal gebrauchte er ein Holzinstrument, das wie ein kleines Paddel aussah, um die dicht zusammengehaltenen Stahlspitzen in die Haut zu treiben. Bald schon war die heiße Sommerluft erfüllt von den schnellen Klickgeräuschen des Holzpaddels in den Händen des Künstlers.
Unterdessen lag Arthur Flinders-Petrie mit geschlossenen Augen da. Er nahm die Marter hin wie das willige Opfer, das er darstellte.
Die zweite Phase der Arbeit war um vieles schmerzhafter und dauerte länger. Schließlich erhob sich Chen Hu, verbeugte sich und ging fort, um genüsslich eine Tasse chá zu trinken und Arthur die Gelegenheit zu geben, sich zu erholen. Viele der Kunden des Hauses Wu benötigten einen Moment, um innere Kraft für den letzten Arbeitsgang zu sammeln - wenn sie zuvor nicht genügend getrunken hatten, sodass sie unempfindlich gegenüber Schmerzen waren. Arthur hingegen brauchte weder Alkohol noch Erholung, wenn er tätowiert wurde. Nach über sechzig Sitzungen war er auf diesem Gebiet ein echter Veteran, der sich bereits vor langer Zeit an diese Art körperlicher Pein gewöhnt hatte. Jedenfalls war der Schmerz ein geringer Preis für den Seelenfrieden, den diese Prozedur ihm letztendlich brachte.
Gleichwohl begrüßte er die Ruhepause von den Nadeln und entspannte sich mit geschlossenen Augen. Fast wäre er eingeschlafen - doch plötzlich spürte er, dass ein Schatten über sein Gesicht strich. Er glaubte, Chen Hu sei zurückgekehrt, öffnete die Augen und hob seinen Kopf. Doch er erblickte nicht das sanfte, runde Antlitz seines chinesischen Tätowierers, sondern die langen, kantigen Gesichtszüge eines dunkelhaarigen Mannes europäischer Abstammung. Überrascht richtete sich Arthur auf. »Oh!«, entfuhr es ihm.
»Entschuldigt!«, sagte der Mann. »Hatte nicht die Absicht, Euch zu erschrecken. Bitte vergebt mir mein Eindringen. Ich dachte, Ihr wäret eingeschlafen.«
»Das wäre ich auch beinahe«, erwiderte Arthur.
Mit einem Blick musterte er die stattliche Figur des Mannes. Der Fremde war groß und langgliedrig. Er hatte dunkle Augen und einen langen, ziemlich schmalen Kopf, jedoch breit angelegte Gesichtszüge: All das zusammen gab ihm irgendwie ein pferdeähnliches Aussehen. Dieser Eindruck wurde durch die buschigen Koteletten und den extravaganten Schnurrbart nur noch verstärkt.
»Verzeiht«, sagte Arthur, der bemerkte, dass nicht nur der Eindringling, sondern auch er selbst Gegenstand einer eingehenden Musterung war, »aber kenne ich Euch, Sir?«
»Ich glaube nicht«, antwortete der Mann. »Aber ich kenne Euch.«
»Wie meinen?«
»Erlaubt mir, mich vorzustellen«, erklärte der dunkle Mann freundlich. »Ich bin Lord Archelaeus Burleigh, Earl of Sutherland. Zu Euren Diensten.« Er verbeugte sich leicht und schlug elegant die Hacken zusammen. »Ich begrüße dieses Treffen, das ein großer Zufall ist. Schon seit mehreren Jahren komme ich geschäftlich nach Macao, doch ich habe erst kürzlich von Euren Heldentaten gehört.«
»Tatsächlich?«, wunderte sich Arthur. »Mir war nicht bewusst, dass irgendwelche meiner unbedeutenden Aktivitäten der Öffentlichkeit bekannt sind. Offen gesagt, Sir, habe ich sogar große Anstrengungen unternommen, um genau das Gegenteil davon zu erzielen.«
»Oh, zweifellos«, erklärte Burleigh. »Ansonsten hätten sich unsere Wege viel früher gekreuzt.«
»Gibt es etwas, das ich für Euch tun kann?«, fragte Arthur höflich, der die ganze Zeit darüber nachdachte, wie er den unerwünschten fremden Eindringling loswerden könnte.
»Ganz im Gegenteil«, erwiderte der Earl. »Ich bin hier, um Euch bei Euren höchst interessanten Unternehmungen meine Dienste anzubieten.«
Arthur wurde auf einmal bewusst, dass der Mann während ihrer Unterhaltung aufmerksam die in die Haut gestochenen Symbole studiert hatte. Rasch zog Arthur sich das Hemd über die Brust. »Vergebt mir«, sagte er, »doch ich fürchte, dass Euer Angebot - so edelmütig es unzweifelhaft ist - für beide Seiten nur geringen Nutzen bringen würde. Im Moment benötige ich keine Unterstützung.
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