Die Zeitwanderer
ausverkauft, und lange vor Ladenschluss hatten sie die letzte geröstete Bohne aufgebraucht. Als Etzel schließlich die Holzläden schloss und die Tür verriegelte, hob Mina die Geldkassette hoch und schüttelte sie, um das schwere Klimpern der zahlreichen Münzen zu hören.
Sie öffnete die Kiste, spähte hinein und sah neun Groschen, fünf Guldiner und einen ganzen Taler. »Etzel, wir werden eine Million Taler verdienen«, verkündete sie und hielt die große Silbermünze hoch. »Und hier ist der erste!«
Etzel lachte. Er hatte selten von irgendjemandem eine solche Summe auch nur flüstern gehört. »Dann werden wir in unserem kleinen Kaffeehaus der König und die Königin von Prag sein.«
»Nur ein Kaffeehaus?«, rief Wilhelmina. »Warum an dem Punkt aufhören? Wir werden mindestens sechs Kaffeehäuser haben - und auch in München. Noch besser: ein Dutzend! Warum nicht?«
»Warum nicht?«, echote Engelbert und starrte sie mit einem geradezu ehrfürchtigen Gesichtsausdruck an.
Die nächsten Tage vergingen wie im Fluge. Sie waren voller angenehmer, wenn auch hektischer Aktivität, geprägt von Dampf und Schweiß und vielen Stunden in der Küche. Wilhelmina war an die Routine in einem geschäftigen Laden gewöhnt, und dem Bäcker Engelbert war harte Arbeit keineswegs fremd. Jeder von ihnen kannte die Stärken und Vorlieben des anderen und passte dementsprechend seine Arbeitsweise an. Am Ende der Woche hatten sie eine eindrucksvolle partnerschaftliche Zusammenarbeit entwickelt und zudem einen kleinen, treuen Kundenstamm gewonnen, der sich immer häufiger im Laden einfand. Ein begeistertes und einflussreiches Mitglied dieser Gruppe war ihr Vermieter Arnostovi. Als langjähriger Immobilienbesitzer in der Stadt hatte er zahlreiche Beziehungen sowohl zu den unteren als auch zu den oberen Schichten der Prager Gesellschaft. Und er war es, der damit begann, die eigenen Geschäfte im Kaffeehaus zu führen. Er brachte Kunden und mögliche Partner für seine verschiedenen Projekte in den Laden, um mit ihnen zu sprechen und zu verhandeln - bei etlichen Tassen Kaffee und Platten voller Gebäck, Kuchen und Früchtebrot, bei deren Herstellung sich Etzel geradezu überbot.
Die Neuigkeit, dass es ein Kaffeehaus in der Stadt gab, verbreitete sich wie ein Lauffeuer.
Zahlreiche Gerüchte kamen auf, die immer mehr Leute zum Laden lockten. Es wurde erzählt, das neue Getränk wäre ein äußerst wirksames Aufputschmittel, ein Tonikum für das Gehirn, ein Mittel zur Blutregulation, eine Verdauungshilfe und heilsam bei verschiedenen Magenleiden. Man munkelte sogar, die bittere schwarze Flüssigkeit besäße aphrodisische Eigenschaften. All diese Gerüchte wurden mit leiser Stimme über dampfenden Tassen diskutiert.
Auf eine unbeschwerte, freundliche Art und Weise förderte Mina diese Spekulationen, während sie an den Tischen ihre Kunden bediente. Dabei unterhielt sie sich mit ihnen und brachte so ihre Namen, Berufe und Geschmacksvorlieben in Erfahrung. Wie eine liebenswürdige Elfe huschte sie durch den Raum, ermutigte hier einen Zögerlichen zu seinem ersten Schluck und bot dort eine unentgeltliche Kostprobe an. Sie stellte sicher, dass sich jeder in dem gemütlichen Laden entspannt und willkommen fühlte.
»Wir brauchen mehr Hilfe«, verkündete eines Abends Wilhelmina, als Etzel die Tür verschloss.
»Ja«, stimmte er ihr zu. »Genau das habe ich auch gedacht.«
»Außerdem brauchen wir mehr Bohnen. Wir haben bald keine mehr.«
Etzel runzelte die Stirn. »Wie viel ist noch da?«
»Wir haben noch Bohnen für etwa zwei Wochen. Vielleicht auch noch für ein oder zwei Tage mehr - oder weniger.« Sie sah, wie sich auf seinem breiten, gutmütigen Gesicht die Sorgenfalten vertieften. »Warum? Was stimmt nicht?«
»Es wird nicht so einfach sein, neue zu beschaffen«, antwortete er und erinnerte sie daran, dass er beim ersten Mal nur durch einen äußerst glücklichen Zufall an die Bohnen gekommen war. »Ich denke, wir müssen nach Venedig fahren, und das ist sehr weit weg.«
»Wie weit?«
Er hob seine runden Schultern. »Einen Monat - vielleicht sogar zwei. Ich bin noch nie dort gewesen; deshalb kann ich es nicht sagen.«
In Gedanken versunken, verzog Mina ihre Augenbrauen. »Offensichtlich hätten wir noch an dem Tag, als wir das Geschäft eröffnet haben, mit der Suche beginnen sollen. Das Problem erfordert eine dauerhafte Lösung.« Sie dachte laut nach. »Wir benötigen eine ständige Versorgung mit Kaffeebohnen. Wir
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