Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)
das gesamte Mobil in Flammen.
Um 12:11 Uhr hört Beate Zschäpe die Mailbox ihres Mobiltelefons ab, der Anruf dauert 51 Sekunden. Gab es eine Nachricht auf ihrem Anrufbeantworter, dass alles gut gelaufen ist in Eisenach? Zumindest surft sie eine halbe Stunde nach dem Anruf im Internet bei «sachsen radio» vorbei. Wie genau Zschäpe von den Ereignissen in Eisenach erfährt, ist nicht bekannt.
Die Informationen aus dem Telefonat, von der Webseite und möglicherweise Meldungen aus dem Radio müssen ihr jedoch Aufschluss gegeben haben, dass etwas schiefgelaufen ist bei dem Überfall ihrer Kameraden. Ab diesem Zeitpunkt scheint ihr Informationsinteresse nach aktuellen Neuigkeiten zumindest gestillt. Und ihr wird schlecht.
Das Internet nutzt sie das letzte Mal um kurz nach ein Uhr mittags. Um 13:07 Uhr sucht sie nach «greenpeace», gegen 13:13 Uhr googelt sie «gegen pelze», und wenig später gibt sie «biobauern zwickau» in die Suchmaske ein.
Aber als Erstes sucht sie im Internet nach «natürliche mittel gegen übelkeit».
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Nicht zu fassen
In Eisenach laufen die Ermittlungsarbeiten auf Hochtouren. Batterien von Beamten befragen alle erreichbaren Anwohner in Eisenach-Stregda und recherchieren die Arbeitsplätze der Personen, die sie nicht antreffen. Über eine Kfz-Kennzeichenabfrage beim Kraftfahrtbundesamt finden sie relativ schnell die Caravanvermietung in Schreiersgrün. Schon am Nachmittag zeigen Fernsehsender und Online-Dienste erste Fotos des ausgebrannten Wohnmobils.
Beate Zschäpe muss damit gerechnet haben, dass es nicht lange dauern wird, bis sich ihre Nachbarn in der Zwickauer Frühlingsstraße an das weiße Wohnmobil «Sunlight» mit dem ungewöhnlichen «V»-Kennzeichen für «Vogtlandkreis» erinnern, das in den vergangenen Tagen vor dem Haus geparkt hat. Sie muss jetzt schnellstmöglich drei Aufträge erfüllen. Die erste Order lautet: Spuren vernichten.
Wie lange hat sie, bis die Polizei kommt? 30 Minuten? 1 Stunde?
Gegen 15 Uhr läuft Beate Zschäpe mit einem Kanister in der Hand durch die spärlich eingerichtete Wohnung. Sie verteilt Motorenbenzin auf dem Hochbett im Wohnzimmer, dem großen silbernen Kühlschrank in der Küche und auch über ihrem Rechner. Dann steckt sie die Wohnung in Brand. Im Haftbefehl gegen sie wird später stehen: «Sie verschüttete eine brennbare Flüssigkeit und entzündete diese. Infolge der Entzündung kam es aufgrund der sich ausbreitenden Gase zu einer Deflagration. Durch den Explosionsdruck stürzten große Teile des Mauerwerks des Wohnhauses ein.»
Vielleicht ist es die Eile. Aber an dieser Stelle begeht Beate Zschäpe aus ihrer Sicht einen großen Fehler: Sie vergisst, die Fenster zu öffnen. Wenn sie diese geöffnet hätte, wäre die gesamte Wohnung im Flammenmeer untergegangen. So aber bleiben viele Akten, Aufzeichnungen und Pamphlete – eigentlich das gesamte Archiv der Nazi-Wohngemeinschaft, die sich «Nationalsozialistischer Untergrund» nennt – erhalten. Für die Ermittler ist dieser Fehler von großer Bedeutung. Vor allem durch die im Haus gefundenen Asservate können sie Strukturen und Vorgehensweise des «NSU» rekonstruieren.
Ein lauter Knall durchreißt die Stille in Zwickau-Weißenborn kurz nach 15 Uhr. Es ist ein dumpfer, heftiger Knall, wie bei einer Explosion. «Ich habe mich umgedreht und sah eine Riesenqualmwolke aus dem Haus Frühlingsstraße 26», sagt ein Handwerker. Dann sieht er erst einmal nichts mehr, weil eine Staubwolke das Gebäude verhüllt. Große Teile der Mauer werden durch die Verpuffung nach außen gedrückt und fallen auf die Straße. Ein Eckfenster fliegt aus der Fassade.
Kurz vor drei Uhr hatte der Trockenbauer das Gebäude verlassen. Der Besitzer des Hauses in der Frühlingsstraße 26 hatte ihn engagiert, die beiden Dachgeschosswohnungen zu sanieren. Heute war nicht viel zu tun an diesem Freitag. Mit einem Kollegen dämmte er die Wohnung, bereitete die Abhängung einer Decke in der kommenden Woche vor und räumte ein wenig auf. Gegen 14:40 Uhr machten die Handwerker auf dieser Baustelle Feierabend, um einen Kaffee trinken zu gehen.
Die Bäckerei liegt gleich ein paar Schritte über die Straße. Sie bestellen ein Stück Kuchen und einen Filterkaffee. Kurz nach drei gehen sie vor die Tür, um eine Zigarette zu rauchen. Im nächsten Moment hören die Männer den Knall.
Hätten die Handwerker heute nicht so zeitig Feierabend gemacht, wären sie mit großer Sicherheit jetzt tot. Ein Kaffee rettete ihr
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