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Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)

Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)

Titel: Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Fuchs , John Goetz
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nichts anfangen, weil sie sich auf Familienrecht spezialisiert haben. Aber sie versprechen, ihr zu helfen, und rufen einen Kollegen an, der sich auf Strafrecht versteht.

    Um 11:15 Uhr sendet die Polizeidirektion Südwestsachsen eine «Medieninformation» an die Presse. In der Mitteilung taucht erstmals der Name Beate Zschäpe auf:
    «Explodiertes Wohnhaus – Polizei sucht 36-jährige Bewohnerin
    Zwickau – (ow) Am Freitag, dem 4. November kam es kurz nach 15 Uhr zu einer Explosion in der Frühlingsstraße. Das betroffene Wohnhaus wurde dabei schwer beschädigt, und es breitete sich ein Brand aus. Eine mutmaßliche Bewohnerin des Hauses wurde durch Zeugen beobachtet, wie sie kurz vor der Explosion das Haus verließ. Seit diesem Zeitpunkt verliert sich ihre Spur. Bei der Frau handelt es sich um die 36-jährige Beate Zschäpe. Sie nutzte jedoch mehrere sogenannte Aliasnamen. So war sie ihren Nachbarn im Stadtteil Weißenborn als Susann D. – Spitzname Liese – bekannt. Aber auch den Namen Mandy S. hatte sie in Gebrauch. Die Namen wurden durch die Ermittlungen der Thüringer Polizei bekannt, da es sich nach derzeitigem Kenntnisstand der Ermittler bei den am Freitagmittag in einem Wohnmobil in Eisenach gefundenen beiden toten Männern um die Mitbewohner von Frau Zschäpe handelt. Beate Zschäpe ist dem äußeren Anschein nach 30 bis 35 Jahre alt, von schlanker Statur, etwa 160 Zentimeter groß. Sie hat schwarze Haare, oftmals nach hinten zum Zopf gebunden, und hat eine Brille, wobei sie diese nicht ständig trägt. Wer die 36-Jährige seit ihrem Verschwinden am Freitagnachmittag gesehen hat oder Hinweise auf ihren derzeitigen Aufenthaltsort geben kann, wendet sich bitte an die Kriminalpolizei Zwickau, Telefon 0375/4284480 oder jede andere Polizeidienststelle.»
    Ab diesem Moment ist Zschäpe eine öffentliche Person.

    Zur gleichen Zeit betritt an diesem Dienstag eine dunkelhaarige Frau die Kanzlei «Naß & Liebtrau» in der Saalbahnhofstraße. Für den Jenaer Anwalt Gerald Liebtrau ist die Frau noch eine Unbekannte. «Ich konnte mit dem, was sie mir erzählte, gar nichts anfangen», sagt er später. «Ich wusste nicht, wer sie war, und ich wusste auch nichts über die Banküberfälle und die ausgebrannte Wohnung in Zwickau.» Ihm war nicht sofort bewusst, welche Mandantin sich da von ihm vertreten lassen wollte. Als Erstes verlangt er einige hundert Euro Vorschuss, wenn er sie vertreten soll. Zschäpe zahlt in bar. Es ist ihr letztes Geld. In ihrer Geldbörse hat sie jetzt noch 12,23 Euro in Münzen.
    Es sind nur noch ein paar Wochen bis zu Beate Zschäpes 37. Geburtstag. Sie hat gerade alles verloren.
    Das berichtet sie dem Strafrechtler Liebtrau. Die beiden sitzen im Besprechungsraum seiner Anwaltskanzlei. Das Zimmer, in dem Beate Zschäpe ihre letzten Stunden in Freiheit verbringt, muss sie an das Jena erinnert haben, aus dem sie vor 13 Jahren geflohen war. Seitdem schien hier die Zeit stehengeblieben zu sein: Eingestaubte Kakteen stehen auf dem Fensterbrett, ein hohes Regal mit vergilbten Leitz-Ordnern lehnt an der Wand, auf dem runden Holztischchen vor ihr liegen Pfefferminzbonbons in einer Schale und alte Ausgaben der Magazine auto test , frau aktuell und ADAC motorwelt . An der Wand hängt ein Bild mit einer Meeresbrandung in Aquarelltechnik. Die Stühle sind mit Kunststoff in Neunziger-Jahre-Optik bezogen, in Lila und Beige. Während Beate Zschäpe aus ihrem Leben erzählt, fixieren ihre Augen oft den Fußboden, auf dem grau-beigfarbenes Linoleum verlegt wurde. Es fällt ihr schwer, über all das zu sprechen, was andere Menschen wohl nicht verstehen können. Zum ersten Mal offenbart sie sich an diesem Dienstag einem fremden Menschen. Nachdem sie ihrem Anwalt fast zwei Stunden ihr Herz ausgeschüttet hat, sagt sie: «Es wird eng.»
    Sie möchte den nächsten Schritt jetzt gern selbst gehen. Am Ende des Gesprächs fragt sie ihn: «Was denken Sie denn, was ich als Strafe befürchten muss?»
    Danach, es ist jetzt 13 Uhr, gehen die beiden ein paar Meter um die Ecke, biegen in die Käthe-Kollwitz-Straße ein, überqueren die Hauptverkehrsader Am Anger und stehen vor der Polizeidirektion Jena. Das Jenaer Großstadtrevier liegt nur eine Minute Fußweg von Liebtraus Kanzlei entfernt. An der Wand des Reviers hängt ein Poster, das Eltern ermutigen soll, wachsam zu sein, damit ihre Kinder nicht in Naziorganisationen abrutschen. An der weißen Wand gegenüber klärt ein kleines Fahndungsplakat unter der Überschrift

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