Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)
Mundlos galt in der DDR als «systemkritisch». Er lehrt Informatik an der Universität Jena. Anfang 1989 sollte das dritte Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet werden, zuvor war er bereits aus der Einheitspartei SED geworfen worden. Die Nachbarn tuschelten angeblich über die «Systemschädlinge» Mundlos, sagt er.
Der Vater ist hin- und hergerissen, was seinen Sohn angeht. Mal macht es ihm Sorgen, wie Uwe in der Schule provoziert. An anderen Tagen hilft er ihm dabei. Uwes ehemalige Mitschüler erinnern sich daran, dass es in Mathematik-Stunden manchmal an der Tür klopfte. Dann trat Uwes Vater, Doktor in Theoretischer Mathematik, in den Klassenraum und legte die Hausaufgaben seines Sohnes auf dessen Platz in der ersten Reihe gegenüber dem Lehrertisch. «Die hat mein Vater gemacht», prahlte Uwe danach in der Klasse herum. Dabei sei er gut in Mathe gewesen, sagen seine ehemaligen Mitschüler.
«Er brauchte das wohl eher aus psychologischen Gründen», vermutet sein Mitschüler Christian Wunder. Diese öffentliche Unterstützung durch den Vater war Uwe Mundlos’ Weg, Liebe von seinen Eltern zu erhalten, die sich gezwungenermaßen mehr um den behinderten Bruder kümmern mussten, als Zeit mit Uwe zu verbringen, meint ein ehemaliger Klassenkamerad.
Und es war eine gelungene Provokation der Lehrer. «Du bist so intelligent, aber du nutzt deine Chancen nicht», sagt der Mathe-Lehrer zu Uwe Mundlos. «Du würdest mehr erreichen, wenn du nicht immer provozieren müsstest.»
Die Schule, die Uwe Mundlos besucht, heißt Magnus-Poser-Oberschule. Poser war ein Kommunist und Widerstandskämpfer, der im Konzentrationslager Buchenwald von den Nazis ermordet wurde. Auch das zentrale Denkmal für die Opfer des antifaschistischen Widerstands in Jena ist nach ihm benannt. Oft müssen sich die Schüler der POS «Magnus Poser» dort aufstellen und nicht enden wollende Appelle über sich ergehen lassen.
An diesem Denkmal hat Uwe Mundlos als Sechsjähriger sein blaues Halstuch der Jungen Pioniere bekommen und später als Zehnjähriger sein rotes Halstuch der Thälmann-Pioniere. Nach einem Fackelumzug wird er 1987 an der Gedenkstätte feierlich in die Jugendorganisation der DDR, die Freie Deutsche Jugend (FDJ), aufgenommen. Mundlos wird nach der Wiedervereinigung, im Alter von 24 Jahren, noch einmal hierherkommen.
Gleich hinter Mundlos’ Schule liegt eine große Kaserne der Roten Armee. Die Kinder hören oft das Pfeifen der Turbolader-Panzer, die vom Kasernenhof auf die Straße fahren. Die «Freunde», wie die sowjetischen Soldaten in der DDR ironisch genannt werden, bleiben der Bevölkerung fremd. Kontakte zwischen ihnen und normalen DDR-Bürgern sind verboten. Die einzigen Begegnungen sind auf organisierte Treffen der «Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft» beschränkt.
Die antifaschistischen Rituale machen nicht jeden Teenager in der DDR zum Antifaschisten. Die Freundschaft zur Sowjetunion haben sich die meisten sowieso nie verordnen lassen. Was bei Uwe Mundlos hängenbleibt, ist eine Faszination für den Zweiten Weltkrieg und die Nationalsozialisten – und ein Gespür für Provokation.
«Uwe hat damals schon mit selbstgebauten Silvesterknallern rumexperimentiert», erinnert sich Rainer Pfeiffer, ein Klassenkamerad von Uwe Mundlos. Aus alten Rohren und mit Schwarzpulver, das er wahrscheinlich gegen kleine Geschenke von Sowjetsoldaten eingetauscht hat, bastelt Mundlos erste eigene Bomben. Nach den Silvesterferien erzählt er herum, in der Nähe des Jenaer Saalbahnhofs einen riesigen Krater gesprengt zu haben.
Als 13-Jähriger trifft sich Mundlos öfter mit Freunden in einem alten Steinbruch. Während die anderen sich mit Bratäpfeln am Lagerfeuer begnügen, steckt er einmal eine ganze Wiese in Brand. Die Feuerwehr muss anrücken. «Uwe hat immer noch eins draufgesetzt», sagt sein damaliger Kumpel Christian Wunder.
Als es mit der DDR zu Ende geht, regt sich Uwe Mundlos über «Wendehälse» ohne eigene Meinung auf. Bald verliert er den Respekt vor Lehrern und Polizisten. Zu diesem Zeitpunkt ist er bereits von rechten Ideen überzeugt. Sein Schulfreund Rainer Pfeiffer erinnert sich, dass Mundlos «auch schon zu DDR-Zeiten nicht hinter dem Berg gehalten hat, dass das Dritte Reich auch viele gute Seiten hat». Er wird der einzige Rechte in der Klassenstufe bleiben.
Nach der zehnten Klasse verlässt Mundlos die Schule. Er ist 17, es ist der Sommer 1989. Höflich, hilfsbereit, zuvorkommend: So beschreiben
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