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Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)

Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition)

Titel: Die Zelle: Rechter Terror in Deutschland (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Fuchs , John Goetz
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er sei abgeschoben, der Plebs», sagt Brigitte Böhnhardt.
    Durch die neue Schule lernt er ältere Jungs kennen, deren Respekt er sich erkämpfen will. Er möchte gern so cool sein wie sie. Die Großen schwänzen den Unterricht, und bald beginnt Uwe Böhnhardt, es ihnen nachzutun. Als seine Mutter misstrauisch wird, kontrolliert sie vom Balkon aus, ob Uwe auch wirklich durch das Schultor geht. «Er ist dann hinten einfach wieder rausgegangen, wenn ich nicht mehr auf dem Balkon stand.»
    Die neuen Freunde nutzen Böhnhardt aus. Sie stiften ihn zu kleinen Benzindiebstählen an, manchmal fahren sie auch Auto, obwohl noch niemand von ihnen den Führerschein hat; einmal setzt er ein Fahrzeug in die Kiesgrube. Wenn sie erwischt werden, nennen sie angeblich immer Uwes Namen, weil er als Einziger in der Gruppe noch nicht strafmündig ist. Die Eltern müssen ihn jetzt öfter von der Polizeiwache abholen.
    «Von da an hatten wir den Eindruck, dass nicht mehr alles richtig glattläuft», sagt seine Mutter. «Uwe hat noch nicht begriffen, dass seine Aufgabe darin besteht, die Schule zu besuchen und sich am Unterricht zu beteiligen», schreibt seine Lehrerin ins Abschlusszeugnis der 7. Klasse. Er wird nicht versetzt.
    Um ihren Sohn wieder in die Spur zu bringen, treten die Böhnhardts einen schweren Gang an. Sie akzeptieren, dass sie gescheitert sind, und gehen zum Jugendamt. Sie, die beiden Akademiker, suchen nach Hilfe bei der Erziehung ihres Sohnes. Besonders Brigitte Böhnhardt empfindet das als persönliche Niederlage, schließlich betreut sie als Grundschullehrerin verhaltensauffällige Kinder. Nur bei ihrem Sohn hat sie keinen Erfolg.
    Beim Jugendamt beantragen die Eltern einen Platz für Uwe in einem Kinderheim, 50 Kilometer entfernt von Jena. Er soll weg von seinen neuen Freunden, die einen schlechten Einfluss auf ihn haben. Nach zwei Monaten fliegt er dort raus, weil er zu viel geschwänzt hat. Ohne Abschluss.
    Das neue Schuljahr startet Uwe Böhnhardt in der Lernförderschule, wenigstens seinen Hauptschulabschluss soll der Sohn der Lehrerin Brigitte Böhnhardt machen.
    Nachdem er mit einigen Mitschülern während des Jahreswechsels 1992/93 in die Schule eingebrochen ist und einen Computer geklaut hat, fliegt er auch hier wieder. Ohne Abschluss.

    Es sind die Wochen und Monate, in denen sich Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe kennenlernen, als die schlimmsten Angriffe auf Ausländer in der deutschen Nachkriegszeit stattfinden: Zwischen dem 22. und 26. August 1992 wird in Rostock-Lichtenhagen ein elfstöckiges Gebäude, die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber des Landes Mecklenburg-Vorpommern, von Anwohnern, Jugendlichen des Viertels und später auch angereisten Skinheads belagert und attackiert.
    Unter «Ausländer raus!»-Rufen von teilweise bis zu 2000 umherstehenden Schaulustigen werfen die Angreifer Molotowcocktails in das Gebäude, im Eingangsbereich wird Benzin verschüttet und angezündet, Balkone fangen Feuer. Skinheads stürmen das Haus mit Baseballschlägern. Über 100 Vietnamesen sind darin gefangen. Tagelang guckt ganz Deutschland jeden Abend im Fernsehen zu, wie Hunderte Menschen das Heim angreifen und wie die Polizei die Situation teilweise nicht unter Kontrolle bringen kann. Viele Beobachter bezeichnen die Ereignisse in Rostock als Pogrom.
    Die Reaktionen von Politikern machen deutlich, wie die ausländerfeindliche Stimmung Deutschland bereits verändert hat. Viele Neonazis fühlen sich nicht allein mit ihrer Überzeugung. CDU-Politiker in Mecklenburg-Vorpommern zeigen sich verständnisvoll. «Es ist völlig klar, dass hier unkontrolliert große Mengen an ausländischen Leuten zu uns gekommen sind. Das sind Leute mit Lebensgewohnheiten, die man auch nicht einfach umkrempeln kann, die aber auch nicht unbedingt die Zustimmung der Anwohner haben. Dieser Zustrom ist unkontrolliert und hat überdimensionale Ausmaße angenommen», sagt Wolfgang Zöllick, der CDU-Bürgermeister von Rostock. «Dass die Ausländer unsere Sitten und Gebräuche nicht kennen und vielleicht gar nicht kennen wollen, stört die Befindlichkeit unserer Bürger», ist auch Eckhardt Rehberg, der Vorsitzende der CDU-Fraktion im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, überzeugt.
    Bundeskanzler Helmut Kohl reagiert in den Wochen nach Rostock erneut mit der Aufforderung, den Asylparagraphen im Grundgesetz zu ändern. Zu viele Asylbewerber hätten zu einem Staatsnotstand geführt. «Die Grenze der Belastbarkeit ist

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